Die Kirche ist beliebig geworden

Wenn am heutigen Samstag um zehn Uhr alle Kirchenglocken läuten, während das große Papst-Begräbnisspektakel in Rom beginnt, dann symbolisiert das die Kraft der katholischen Kirche – vor allem zur Inszenierung. Für viel mehr reicht es zumindest in Österreich (und weiten Teilen Europas) allerdings nicht mehr. Am Ostermontag, nach der Verkündung des Papst-Todes, waren die Social-Media-Plattformen überschwemmt von Selfies mit dem Papst. Ziemlich respektlos, ziemlich dem Zeitgeist entsprechend: der Papst als Kulisse der eigenen Bedeutung. Jeder Einzelne davon hat sich also in diesem kurzen Moment der Begegnung mit dem Kirchenoberhaupt nicht auf ihn, sondern auf ein möglichst cooles Foto konzentriert.
Eine alle einigende, visionäre, „erlösende“ Kraft hat die Kirche hierzulande ja bedauerlicherweise schon lange nicht mehr. Wie symbolträchtig, dass Österreich den nächsten Papst auch gar nicht mitbestimmen darf, weil es keinen wahlberechtigten Kardinal mehr hat, möglicherweise auch keinen mehr bekommt. Seit Jahren war klar, dass Kardinal Christoph Schönborn emeritieren wird. Aber sogar sein Amt als Erzbischof von Wien ist seit Monaten interimistisch besetzt. Österreich scheint über die Nachfolge intern uneinig zu sein, und für den Vatikan sind wir zu Recht unwichtig.
Welche Richtung wird die neue Wiener Kirchenspitze einschlagen? Konservativ? Oder weiterhin den Weg der Caritas-Kirche beschreitend, die überall Armut vermutet, sonst aber ja nirgendwo anecken möchte? Kein Wunder, dass die christlichen Kirchen täglich an Bedeutung verlieren. Sie sind beliebig geworden neben den stark wachsenden, selbstbewussten nicht-christlichen Religionen.
Kirchenvertreter schaffen es kaum noch, ihre Schäfchen anzusprechen oder gar zu begeistern. Die Kirche ist folkloristischer und manchmal auch tröstender Rahmen von Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen, spielt im Leben der säkularisierten Menschen ansonsten aber keine Rolle mehr. Die Sehnsucht nach Sinn und Spiritualität befriedigen der Buddhismus, der Yoga-Kurs oder die Insta-Gruppe besser.
Das müsste nicht so sein: In den USA sind die Versammlungen der christlichen Gemeinden meistens fröhlicher, lebensnäher, lebendiger als unsere – auch wenn in Europa über die oft naiv wirkende Begeisterungsfähigkeit gespottet wird.
Angesichts vielfältiger Bedrohungen könnte man sich wieder einmal darauf besinnen, wie sehr das Christentum Europa geprägt hat, wie unverzichtbar diese Religion für unsere Kulturgeschichte ist, und wie notwendig aber auch die Aufklärung war (die man beim Islam schmerzlich vermisst). Und dass es weiterhin wertvolle Leitlinien gibt, die es sich zu erhalten lohnt.

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon
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