Alle, die mit Hugo Portisch, also mit dem Medium, in dem dieser Text erscheint, und mit seiner Fernsehreihe „Österreich II“ aufgewachsen sind, wissen, wie wichtig nach dem NS-Irrsinn der Zusammenhalt war. Welches riesige Glück dieses Land hatte, genau zwischen zwei Weltmächten zu liegen und dadurch die Chance auf Unabhängigkeit, auf Neutralität zu bekommen. Wie sehr wir beim Wiederaufbau von Hilfe unserer amerikanischen Kriegsgegner/Befreier abhängig waren, die wir nicht einmal zurückzuzahlen hatten. Wie zwingend politische Kräfte im Land zusammenarbeiten mussten, um gemeinsam etwas für die Gemeinschaft zu erreichen – nach den Nationalratswahlen 1945 gab es übrigens eine Dreierregierung aus ÖVP, SPÖ und den Kommunisten, dies nur als Hinweis für alle, die glauben, wir würden derzeit noch nie Dagewesenes erleben.
Nach Jahren des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders gab es erste Krisen und sehr langsam die Einsicht, dass Österreichs Opferrolle äußerst fragwürdig und die Täterschaft stark ausgeprägt war. Viel zu lange hatte man weggeschaut, unter den Teppich gekehrt, das kann man im Land des (von den Nazis vertriebenen) Sigmund Freud sehr gut. Dafür hat man dann genau hingeschaut und etwa ein vorbildliches Kunst-Restitutionsgesetz beschlossen – zu spät für viele Opferfamilien.
80 Jahre klingt für junge Menschen wie eine Ewigkeit. In 80 Jahren schreiben wir 2105, klingt nach Science-Fiction. Aber die Erfolgsgeschichte Österreich war für die Menschen 1945 auch unvorstellbare Zukunftsmusik: ein wohlhabendes, friedliches Land, in dem Menschenrechte hochgehalten werden. Leider ist all das heute nicht mehr garantiert. Die Allianzen mit zwei Partnern, die uns einst zur Seite standen, brechen gerade auseinander bzw. sind längst obsolet: mit den USA und mit Russland. Aus der Konsensdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg wird wieder mehr und mehr eine Konfliktdemokratie. Und statt Gemeinsinn, der immer wieder eingefordert wird, halten es viele mit dem Gemeinsein. Jörg Haider war es, der eine Dritte Republik errichten wollte. Verteidigen wir die Zweite, so lange wir können. Und nützen wir die Rückschau, um nach vorne zu schauen.
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