Die nicht gehaltene Festspielrede

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Damit Österreich eine erfolgreiche Kultur- und Wirtschaftsnation bleiben kann, muss sich viel verändern: ein paar Sätze gegen das bequeme Wegschauen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Sie war gut, die Festspielrede des Bundespräsidenten in Bregenz diese Woche und beinhaltete sogar zwei Vorschläge, die ChatGPT nicht auch automatisch ausspucken würde: die eines großen europäischen Eisenbahn- und eines gemeinsamen Rüstungsprojekts (seit Jahrzehnten überfällig). Das ist schon was. Schließlich überwiegt in solchen Reden ja meist eher das Salbungsvolle. Darfs bitte trotzdem ein bisserl konkreter, vielleicht sogar fordernder sein? Ein Vorschlag:

Liebe Festgäste! Wie schön, dass wir hier gemeinsam auf allerhöchstem Niveau Kultur genießen, und auch in Freiheit und Wohlstand leben können. Damit das alles so bleibt, muss sich in nächster Zeit aber einiges verändern. Ich möchte Ihnen daher ein paar kritische Fragen stellen: Wissen wir noch, wer wir sind, woraus die Kernwerte unserer Republik bestehen ? Sind wir bereit, unser Gesellschaftsmodell zu erhalten, notfalls sogar zu verteidigen? Ist die Mehrheit in diesem Land noch immer der Meinung, dass Bildung, Leistung und Aufstieg erstrebenswerte Ziele sind? Können wir uns auf die Trennung von Religion und Staat einigen auf Frauen- und Schwulenrechte, aber auch darauf, dass Kinder die Zukunft sind?

Die unangenehme Wahrheit ist: Wir schauen zu oft weg – nicht aus Toleranz, sondern aus Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und Egoismus. Es ist schon 12 Jahre her, als der damalige Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl Empörung erntete, indem er meinte, der österreichische Wirtschaftsstandort sei im Vergleich zu anderen europäischen Ländern abgesandelt. Wer hätte damals gedacht, dass das jemals so dramatisch Wirklichkeit wird wie jetzt? Österreich rutscht in allen Bereichen ab.

Und man muss leider der Festspielrede des Kulturministers Andreas Babler energisch widersprechen, der die soziale Säule schwächer geworden sieht. Das Gegenteil ist der Fall: Schwächer geworden ist vor allem die Arbeitsmoral, weil sich zu viele auf diese soziale Säule verlassen können – übrigens auch ein Magnet für Armutsmigration.

Eines der besten Sozialsysteme der Welt können wir aber nur bei hoher Produktivität und viel mehr Eigenverantwortung als jetzt erhalten. Wir müssen wieder fleißiger werden, aber auch wieder besser entspannen. Selbst das haben wir ja verlernt. Legen Sie also auch einmal das Handy weg, stöbern Sie nicht stundenlang auf Social Media auf der Suche nach – ja, wonach eigentlich? Lesen Sie wieder echte Literatur, gehen Sie ins Theater, ohne davon ein Selfie zu posten. Kaufen Sie in einem echten Geschäft und nicht nur online ein, denn das macht unsere Innenstädte – und irgendwann einmal auch unseren Tourismus kaputt. Kurz und gut: Leben und erleben Sie wieder mehr! Auch das gehört zu einer Kulturnation. Viel Vergnügen!

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

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