Wegschauen ist nicht mehr

Deutsche Bahn AG holds annual results press conference
Die Probleme der Deutschen Bahn wurden vor den Toren Wiens greif- und sichtbar. Die Beseitigung all ihrer Baustellen wird ein gigantischer Kraftakt.
Michael Bachner

Michael Bachner

Wer nach all den Pleiten, Pech und Pannen der Deutschen Bahn ein weiteres Anschauungsbeispiel für den Zustand des Staatskonzerns gebraucht hat, wurde mit dem stromlos stehen gebliebenen ICE bestens bedient. Bei dem stundenlangen Großeinsatz vor den Toren Wiens ist am Samstag keiner der 400 Passagiere gröber zu Schaden gekommen. Was in dem teils stockdunklen Zug, bei ausgefallener Klimaanlage und einer Handvoll Menschen, die – entgegen der Anweisungen der Rettungskräfte – aus dem Tunnel flüchten wollten, an ein kleines Wunder grenzt.

Eine lange Schrecksekunde später, stellt sich einmal mehr die Frage, was ist eigentlich los bei der Deutschen Bahn? Am Donnerstag hat ihr Vorstandschef, Richard Lutz, einmal mehr die Möglichkeit sich zu erklären. Lutz präsentiert am 31. Juli die Halbjahreszahlen des hoch verschuldeten Konzerns, es könnte seine Abschiedspressekonferenz werden. „Bahnchef auf Abruf“, titelte jüngst die FAZ.

Ihm allein die Schuld für unpünktliche Züge, das marode Schienennetz und die tiefrote Bilanz zu geben, wäre wohl zu einfach. Lutz steht massiv unter Druck, klar. Doch die Ablöse des Managers würde die massiven Probleme des Konzerns nicht über Nacht beseitigen. Dazu sind die Dimensionen, um die es geht, zu gewaltig: 150 Milliarden Euro braucht die Deutsche Bahn zur Generalsanierung der wichtigsten Strecken aus dem 500-Milliarden-Infrastrukturpaket von Union und SPD. Bis 2036 dürfte sich das Vorhaben hinziehen. Die monatelangen Bauvorhaben samt Streckensperren, Verspätungen und absehbarer Proteste werden ein unglaublicher Kraftakt.

Viel zu lange wurde unter den Regierungen Merkel und Scholz das Problem Bahn auf die lange Bank geschoben. Im Autoland Deutschland bekam die Bahn nie die nötige Aufmerksamkeit. Jetzt kommt alles zusammen: die Streckensanierungen, der Abbau des gigantischen 32-Milliarden-Schuldenbergs, die Streichung zig Tausender Stellen, um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen und die politische Debatte über eine Zerschlagung des Konzerns in Netz und Betrieb. Kein Nachfolger von Lutz ist um den Job zu beneiden.

Auch die ÖBB und ihre Kunden nicht. Die vielen Umleitungen, längeren Fahrzeiten und Fahrplanänderungen der Deutschen Bahn werden ab 2026 auch hierzulande massive Beeinträchtigungen mit sich bringen. „Zwei bis drei sportliche Jahre“, prophezeit ÖBB-Chef Andreas Matthä. Ein negativer Höhepunkt dürfte die Sperre des Deutschen Ecks im Jahr 2027 werden.

Geht wider Erwarten alles gut, soll die Pünktlichkeit der DB-Züge bis 2027 von 62 auf dann 75 bis 80 Prozent steigen. 2004 war man bei 84 Prozent. Das zeigt: Versäumnisse aus zwei Jahrzehnten lassen sich nicht in zwei Jahren aufholen.

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