Demografiekeule am Arbeitsmarkt: Babyboomer statt Jugendwahn

Zwei Männer in Laborkitteln untersuchen ein Bauteil in einer Fabrikhalle.
Alle sollen länger arbeiten, aber der Arbeitsmarkt ist für Jobsuchende über 55 noch nicht reif genug. Ein radikales Umdenken muss her
Anita Staudacher

Anita Staudacher

Akademikerin, 57, ausreichend Erfahrung in der Personalverwaltung, sucht einen Job. Resonanz gleich null, auf Bewerbungen erhält sie nicht einmal eine Antwort. Das falsche Geburtsdatum eben. Eine Zahl, ein Vorurteil.

Der heimische Arbeitsmarkt scheint für Jobsuchende über 55 Jahren nach wie vor von einer riesigen unsichtbaren Mauer namens Jugendwahn umgeben. Mit bitteren Folgen: Statt länger zu arbeiten, um das faktische Pensionsalter nach oben zu drücken, verharren viele Babyboomer in der Langzeitarbeitslosigkeit – und zählen teilweise mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Tage, bis ein Übertritt in die Rente möglich ist.

Die Wucht der Demografie

Der Anteil der beim AMS registrierten Langzeitbeschäftigungslosen über 55 Jahre beträgt aktuell 38 Prozent, während der Durchschnitt über alle Altersgruppen bei 26 Prozent liegt. Wer am Arbeitsmarkt als zu alt gilt, verliert leicht die Motivation. Betriebe hätten die Wucht der Demografie noch immer nicht erkannt, klagt Arbeitspsychologe Gerhard Klicka im Interview. Er verweist auf die nach wie vor übliche Praxis in manchen Branchen, sich mit „Sozialplänen“ oder „Golden Handshakes“ älterer Arbeitskräfte zu entledigen. Dieselben Firmen übrigens, die gerne über Fachkräftemangel klagen.

Dabei könnten die Fakten klarer nicht sein: Das größte Wachstum am Arbeitsmarkt findet in den nächsten Jahren in der älteren Bevölkerungsgruppe statt. Schon jetzt sind weit mehr über 60-Jährige unselbstständig beschäftigt als unter 20-Jährige. Trotz zartem Aufholprozess zählt Österreich mit einer Erwerbsquote von nur 56 Prozent in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen aber EU-weit zu den Schlusslichtern.

Eines der größten strukturellen Probleme

Die neue Regierung hat eines der größten strukturellen Probleme für Arbeitsmarkt und Pensionssystem zumindest erkannt und erste, vage Ziele formuliert. So soll ein Anreiz- und Monitoringsystem für eine deutliche Anhebung der Beschäftigung von Personen ab dem 60. Lebensjahr sorgen. Viel konkreter wird es im Regierungsprogramm nicht.

Damit die Babyboomer-Generation gesund und motiviert bis zum gesetzlichen Pensionsalter oder darüber hinaus im Job bleibt, braucht es mehr als nur Ankündigungen. Längst bekannte Konzepte von altersgerechten Arbeitsplätzen, flexiblen Kombi-Modellen aus Pension und Erwerbstätigkeit (Teilpension) sowie finanziellen Anreizen für Betriebe bei den Lohnnebenkosten sollten rasch umgesetzt werden. Gefordert sind aber auch die Unternehmen bei der Neueinstellung von Personal. Sie dürfen nicht über Fachkräftemangel jammern und gleichzeitig ihre Suche auf eine junge Altersgruppe eingrenzen.

Über allem muss eine realistischere Einstellung zum Alter stehen. Das Alter ist nur eine Zahl.

Kommentare