Wer sind die, die uns Winnetou und Rastalocken-Sänger madig machen?

Karl May darf erscheinen: Winnetou (Pierre Brice) und sein Blutsbruder Old Shatterhand (Lex Barker) kämpfen da für Gerechtigkeit
Kulturelle Enteignung, oder: Über die Berauschtheit an der eigenen moralischen Überlegenheit
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Jetzt also Winnetou: Der Held für Generationen deutschsprachiger Kinder, das Sinnbild für Tapferkeit und Freundschaft, darf nicht mehr gut sein. Der Ravensburger Verlag hat zwei zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ erschienene Bücher wieder vom Markt genommen, weil eine moralisierende Twitter-Kamarilla eine „kulturelle Aneignung“ witterte bzw. weil das romantisierende Wildwest-Bild mit der tatsächlichen Unterdrückung der indigenen Bevölkerung nicht übereinstimme.

Und welches Kind, dem man zugleich erklärte, dass die blumigen Erfindungen des Karl May mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben, hat von den Abenteuern Winnetous und Old Shatterhands Schaden genommen? Welches indigene Kind nimmt Schaden, wenn ein deutsches im Buch zum Winnetou-Film blättert? Ein Begleittext zum Buch hat nicht genügt – der Verlag muss im Woke-Furor einknicken und sich Asche übers Haupt streuen? Noch steht das Gesamt-Werk Karl Mays in den Bücherregalen, aber wie lange noch?

Noch eine Frage: In welcher Welt leben wir eigentlich? Die guten Helden (der Apachen-Häuptling) und die bösen Helden (Columbus & Co.) werden vom Sockel gestoßen; eine Ministerpräsidentin, die auf Partys tanzt, wird im Sozialen Netz zum Stein des Anstoßes (woran gottlob ihre Verteidiger Anstoß nehmen); wer Rastalocken trägt und weißer Hautfarbe ist, darf nicht singend auftreten, weil sich „Mitmenschen unwohl“ fühlen. Stichwort wieder einmal: „kulturelle Aneignung“, unter die bald auch schon der Verzehr von indischem Curry oder maghrebinischem Lamm-Couscous fallen wird.

Wer sind die, die sich anmaßen, uns ihre sonderliche Weltsicht als moralisches Korsett umzuhängen? Wer sind die, die vornehmlich in den Neuen Medien auf der Suche nach Klicks jeden Huster der moralisierenden Minderheit transportieren? Und woher nimmt das sogenannte „Feuilleton“, das die Weisheit im Diskont erworben hat und ungefragt erklärt, wo’s lang geht, die Legitimation für die Berauschung an der eigenen moralischen Überlegenheit?

In Wahrheit müsste man herzlich lachen über den Versuch, die kulturelle Enteignung der Menschheit voranzutreiben – da steht die Menschheit selbst schon in Frage. Was mit dem Buch einer deutschen Autorin begann („Kinder sind das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann“), findet gerade seine Fortsetzung in der Debatte von sogenannten Posthumanisten: Die Menschen gerieren sich fälschlich als Krone der Schöpfung, haben aber nur Zerstörung angerichtet (oder Wildwest-Romane geschrieben) – wäre nicht eine Erde ohne Menschen die ultima ratio?

Buchstäblich die ultima, die letzte, dann sperren wir zu. Dann hat sich’s auch mit Aneignung und Enteignung und mit Winnetou sowieso.

Wer sind die, die uns Winnetou und Rastalocken-Sänger madig machen?

Kommentare