Ich bin’s, dein Internetseher

Eine Frau sitzt mit einem Laptop auf einem grünen Sofa.
In den kommenden Monaten wird heftig über die ORF-Gebühren debattiert werden – zum schlechtesten Zeitpunkt.
Georg Leyrer

Georg Leyrer

Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass ein Teil des ORF-Gesetzes bis Ende 2023 neu geschrieben werden muss, damit nicht weiter gratis gestreamt wird. Der ORF jubiliert; und das hat alle Kennzeichen einer fatalen Fehleinschätzung.

Vieles spricht für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Derzeit noch mehr als seit vielen Jahrzehnten: In der Pandemie lehnten sich viele Österreicher stärker als sonst auf den ORF. Nichts ist in den gegenwärtigen und kommenden Krisen bitterer nötig als gemeinsame, geteilte Geschichten, in denen sich so etwas wie eine österreichische Gemeinschaft (wieder) formen kann. Es gibt daher rationale Gründe, den ORF zu finanzieren.

Das Verhältnis der Österreicher zum ORF ist aber nicht rational, sondern irrational geprägt: Es ist Volkssport, sich über gefühlte politische Schlagseiten aufzuregen. Wenn es um die ORF-Gebühren geht, dann treten auch bei vielen braven Staatsbürgern die Adern am Hals hervor. Gebührendebatten sind vergiftet wie kaum etwas sonst in diesem Land. Und zwar schon im Normalzustand.

Den aber gibt es derzeit nicht. Den Menschen rinnt das Geld zwischen den Fingern durch. Im Herbst werden die Gas-tastrophe und die Inflation voll zuschlagen, es drohen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Entwertung des Notgroschens. Wer glaubt, dass die bevorstehende anhaltende Diskussion um die ORF-Gebühren in dieser Weltlage ohne großen Schaden abzuwickeln ist, ist übermäßig optimistisch – oder unverantwortlich.

Die Schweiz, Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben zuletzt gezeigt, wie rasch die Debatten um die Öffentlich-Rechtlichen in einen Meinungskrieg entwischen. Das ist fatal: Niemand braucht mehr Entzweiung, als es schon gibt. Genau dafür bietet sich eine Gebührendebatte aber an. Die Freiheitlichen suchen ohnehin neue Melodien, um die abgespielten Ausländer-Sounds und das Absingen der russischen Hymnen zu ergänzen. Eine ORF-Gebührendebatte, bei der die Blauen nach einer Neuwahl vielleicht sogar mitzureden hätten, kommt da gerade recht.

Auch die anderen Parteien stehen hier unter Druck. Noch dazu, weil auch die politische Besetzung des ORF-Stiftungsrats am höchstgerichtlichen Prüfstand steht. Wenn diese gekippt wird, braucht es plötzlich ein gänzlich neues ORF-Gesetz. Darin den politischen Einfluss, die Macht des ORF und die Zukunftsfähigkeit des Senders auszubalancieren, ist ein überaus heikles Unterfangen. Das würde man lieber nicht in den Händen angeschlagener Parteien in einer weltweiten Krise wissen. Wie es mit dem ORF weitergeht, ist wichtig für uns alle. Auf dementsprechend höchstem Niveau muss die Debatte über seine Zukunft geführt werden. Auch wenn sie zum falschest möglichen Zeitpunkt ausgebrochen ist.

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