Hass kann man nicht wegverhandeln

Hass kann man nicht wegverhandeln
Die Sehnsucht nach Frieden nach einem Jahr Krieg ist verständlich - aber gibt man einem Vergewaltiger nach, damit eine Ruh' ist?
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Ein ehemaliger Waldorfschüler, Hausbesetzer und Spiegel-Redakteur verriet kürzlich in einem bemerkenswerten Aufsatz, dass und warum er seine frühere Kriegsdienstverweigerung nun per Brief zurückgezogen hat: "Die Verweigerung hat ihren Sinn verloren. Die Welt, in der ich sie erklärt habe, ist untergegangen."

Treffender lässt sich kaum darstellen, was sich am 24. Februar vor einem Jahr verändert hat. Wladimir Putin hat – abgesehen von den zigtausend Toten und Millionen Vertriebenen, dem unsäglichen Leid und der Zerstörung – die Welt, wie wir sie kennen, ausgelöscht. Und zwar die des Friedens und des Miteinanders auch unterschiedlicher Ideologien und Strukturen.

Und da stehen jetzt Leute auf und rufen: Lasst uns doch verhandeln, lasst uns nachgeben, lasst uns den Krieg nur beenden! Die verhaltensauffällige Alice Schwarzer und die Putin-Streichlerin Sarah Wagenknecht tun’s, der gealterte Philosophen-Papst Jürgen Habermas tut’s – und eine aufgeregte mediale Blase flattert in unreflektiertem Automatismus mit, oh!, ah!, da hat wer was gesagt.

Dabei ist der Wunsch nach einem Ende des Krieges ja legitim (und ein bisschen feig: weil kriegsmüde können die Ukrainer sein, nicht wir, die gerne wieder billiges Gas und weniger Teuerung hätten). Aber der Ruf nach Kompromiss ist angesichts der Realitäten total daneben.

Es wurde schon einmal wieder besser

Erstens: Putin tut, was er tut, aus abgrundtiefem Hass gegen den Westen. Die Ukraine ist nur ein Vehikel für sein Ziel, die russische Allmacht wiederherzustellen und den Westen zu demütigen. Man muss kein großer Psychologe sein, um zu wissen, dass sich der Kreml-Chef mit dem Ende der Sowjetunion um seine Jugend, seinen Aufstieg, sein Soziotop betrogen sah. So wie viele ehemalige Hitlerjungen bei uns sich von Spätgeborenen nicht ihre Jugend wegmoralisieren lassen wollten und "Ewiggestrige" wurden. Zum Glück wurden sie keine neuen Hitlers – Wladimir Putin wurde ein neuer Stalin.

Was zweitens zur Frage führt: Rät man auch dem sich verzweifelt wehrenden Opfer einer Vergewaltigung, seinem Peiniger ein bisschen nachzugeben, damit eine Ruh’ ist? Oder politisch gefragt: Hätten die Friedensbewegten von heute auch damals, als Hitler die Welt mit einem Krieg überzog und nicht nur Juden auslöschte, auf Verhandlungen gedrängt? Oder sind sie froh, dass eine entschlossene Allianz unter Führung der USA (und der Sowjetunion) dem Albtraum ein Ende setzte?

Die Welt, so war’s damals, kann auch wieder eine bessere werden. Vielleicht täuschen wir uns ja in unserer Sorge, dass das bisher zurückhaltende China nun doch eine Allianz mit dem russischen Kriegstreiber eingeht. Vielleicht bringt Xi Jinping ihn unter einem gewissen Druck (und aus eigenem Interesse) zu einem Stopp seines Furors. Ja, die Welt kann eine bessere werden. Aber nicht, wenn man den, der sie auslöscht, streichelt.

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