Großbritannien erlebt seine Austro-Minute

Warum der Brexit die Grenzen der Demokratie ausreizt. Und warum er besonders britisch ist.
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Dei’ hohe Zeit ist lang vorüber
und auch die Höll’ hast hinter dir,
von Ruhm und Glanz ist wenig über
sag’ mir wer zieht noch den Hut vor dir“

(Rainhard Fendrich)

Nein, wir befinden uns weder im Fußballstadion, in dem Tausende Fans diesen etwas abgelutschten Song mitgrölen, noch beim Musical. Die Rede ist, im Zusammenhang mit dem verkannten Britpopper MC Raini, ausnahmsweise von Großbritannien. Das Königreich erlebt, historisch betrachtet, gerade seinen Österreich-Moment, seine Austro-Minute. Einst Weltmacht, heute nicht mehr ganz so wichtig und von anderen Nationen abhängig. Das muss man emotionally erst verkraften.

Das Jahr 2019 wird jenes sein, in dem England, Wales, Schottland und Nordirland, einige davon wider Willen, aus der EU ausgetreten sein werden. Möglicherweise aber auch nicht, das weiß keiner so genau. Vielleicht stellt sich ja der Brexit am Ende im Land der Widerspenstigsten und Eigenbrötler als Inbegriff des Britischen heraus, als die Königsklasse des Humors. Der Weg dorthin dürfte aus dem Ministry of silly walks stammen.

Wer dieser Tage in London ist, kommt an zwei Dingen nicht vorbei: An der Werbung in der U-Bahn für „Halal Meet“, eine Single-Börse für Moslems (man kann mit seinen Nachbarn also durchaus respekt- und humorvoll umgehen). Und an Brexit-Diskussionen.

Das Brexit-Lotto: Alles ist möglich

Folgende Szenarien sind derzeit denkbar:

Theresa May bringt in etwa zehn Tagen die Abstimmung im Parlament durch, und Großbritannien tritt am 29. März geordnet aus.

Theresa May bringt nichts durch, und Großbritannien tritt ungeordnet aus. Für diesen Fall wurde ein Viertel der Regierungsbeamten schon abgestellt.

Theresa May wirft alles hin, es kommt zu Neuwahlen, und der Brexit wird erst einmal verschoben.

Theresa May wirft alles hin, es kommt zu einem zweiten Referendum, und der Brexit findet gar nicht statt.

Aus der Innensicht besteht ein großes Problem der Briten darin, dass sie sich als großes Reich, das sie im Kopf nach wie vor sind, von keinem etwas vorschreiben lassen, weder von der EU, noch später von anderen Handelspartnern. Von außen betrachtet stellt sich auch die Frage nach den Grenzen der Demokratie. Ein demokratisches Votum hat den Brexit gebracht, mit demokratischen Mitteln scheint er aber im Parlament nicht durchsetzbar zu sein. Ist es jetzt demokratischer, mit einem neuen Referendum zurück an den Start zu gehen? Oder den Volksentscheid fast diktatorisch durchzupeitschen?

Für Großbritannien mit seiner Commonwealth-Geschichte gäbe es zweifellos gute Argumente, sich andere Partner als kontinentaleuropäische zu suchen. Aber dafür bräuchte es eine Strategie. Die es offenkundig nicht gibt.

Was macht eigentlich die Queen währenddessen? Die schaut vielleicht die brillante Peter-Morgan-Serie „The Crown“ und mischt sich als Staatsoberhaupt verfassungsmäßig nicht ein. Very british all das.

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