Gehversuche in politischer Vernunft

Üblicherweise sollte man rasch die Straßenseite wechseln, wenn in politischen Fragen jemand den Hausverstand für sich beansprucht. Schließlich hantieren die meisten nur mit diesem Begriff, um umso leichter Hass und Halbwahrheiten verbreiten zu können – und die kommen gerade beim Thema Migration aus allen politischen Ecken. Während die einen „Kein Mensch ist Ausländer“-Fantasien anhängen, schwadronieren die anderen von der „Festung Europa“, die man mit möglichst hohen Mauern und Zäunen vor allem Bösen schützen könne.
Das soeben politisch auf den Boden gebrachte Asylpaket der EU ist dagegen wirklich ein Versuch, dem Problem mit Vernunft und Hausverstand zu begegnen. Leider hat sich die Politik in Europa in den Jahren seit der Flüchtlingskrise weniger um Vernunft als um Parolen bemüht, mit denen man den Unmut der jeweiligen Klientel bedienen wollte. Entsprechend unausgegoren wirkt dieses Paket, ungeachtet all der Jahre, die man mit dem politischen Tauziehen darum vergeudet hat.
Grundfragen der Migration
Trotzdem: Erstmals drückt man sich nicht um klare und sachliche Antworten auf Grundfragen der Migration. Etwa jene, dass ein Mensch, der sein Heimatland verlässt, um in Europa sein – meist wirtschaftliches – Glück zu suchen, schlicht kein Fall für ein Asylverfahren ist. Wenn er trotzdem das Recht auf Asyl für sich beansprucht, kann die Ablehnung nur ein Formalakt für die EU-Behörden sein.
Dass Asylverfahren so lange verschleppt werden, bis die Abgelehnten durch die Hintertür in den europäischen Markt für Schwarzarbeit abtauchen, war ein Versagen der Behörden, das mit Menschenrecht nichts zu tun hat. Ein schlampig gehandhabtes Asylrecht ist kein Ersatz für eine fehlende Zuwanderungspolitik, die das alternde Europa dringend braucht.
Politische Lebenslügen
Das Versagen der Entscheidungsträger bestand darin, diese politischen Lebenslügen zu akzeptieren. So entstand ein von aller Vernunft befreiter Leerraum, in den Populisten alles stopfen konnten, mit dem sich Ängste bedienen lassen: vor dem sozialen Abstieg, dem Verlust kultureller Identität, dem Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Mit dem Asylpaket bemüht sich die Politik um sachliche Lösungen: auf europäischer Ebene und nicht mit kindischen Grenze-auf-Grenze-zu-Spielchen einzelner Staaten. Es ist nur ein erster Versuch, mit Fehlern und Lücken. Die Populisten stehen bereit, um die Fehler auszuschlachten. Wer lässt sich schon gerne das Spielfeld, auf dem man so lange die Regeln bestimmt hat, wegnehmen. Je klarer die EU in Zukunft Spielregeln in der Asylfrage definiert, je strenger sie Asyl von Migration trennt, desto schwerer wird es den Vertretern des Hausverstands fallen, alles für ihre Halbwahrheiten zusammenzurühren.

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