Wien muss Helsinki werden

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Das finnische Beispiel zeigt, was moderne Stadtplanung für die Sicherheit leisten kann. Ein Gastkommentar von Klaus Atzwanger.

In der allgemeinen Aufregung der derzeitigen Weltpolitik war es verständlicherweise nur eine Randnotiz: Helsinki hat als einzige Stadt weltweit ein Jahr lang keinen Verkehrstoten zu verzeichnen. Diese Nachricht mag klein erscheinen, ist aber groß, denn sie zeigt, dass Verkehrstote in Großstädten (der Großraum Helsinki wird mit 1,4 Millionen EinwohnerInnen gerechnet) keine systemimmanente Begleiterscheinung sind.

Wie hat Helsinki das geschafft? Grundlage für die Verhinderung von Verkehrstoten in Helsinki waren jahrelange Bemühungen, sowohl die Radinfrastruktur als auch die Gehwege für FußgängerInnen zu optimieren.

Der öffentliche Nahverkehr wurde laufend ausgebaut, zusätzlich ist mehr als die Hälfte des Straßennetzes mit Geschwindigkeitsbegrenzungen von 30 km/h gestaltet.

Wien muss Helsinki werden

Klaus Atzwanger

Straße als Lebensraum

Die Erkenntnis, dass die Straße in urbanen Gebieten Lebensraum und nicht nur Verkehrsfläche ist, geht historisch auf Jane Jacobs bahnbrechende Überlegungen 1961 zurück, die als erste „das Sterben und Leben amerikanischer Städte“ beschrieb.

Seither sind sich Städteplanerinnen und Städteplaner weltweit zunehmend einig, dass es das Ziel sein muss, Straßen so lebenswert zu gestalten, dass die Grundbedürfnisse Aufenthaltsort, Kommunikationszone und Verkehrsfläche parallel stattfinden können.

Dabei ist darauf zu achten, dass für unterschiedliche Verkehrsformen, wie öffentlicher Verkehr, motorisierter Individualverkehr, FußgängerInnen und RadfahrerInnen entsprechende Räume bedacht werden.

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der jeweils benötigten Flächen ist von den NutzerInnenfrequenzen abhängig, wobei es dabei selbstverstärkende Effekte gibt.

Radfahrer ernten

Das Sprichwort „wer Straßen sät, wird Autos ernten“ gilt auch für die nachhaltigen Verkehrsformen Fußgänger und Fahrräder, denn nur wenn man entsprechende attraktive Infrastruktur anbietet, entscheiden sich immer mehr Menschen zu diesen Mobilitätsformen.

Spaziert man in Wien an einem lauen Sommertag durch die inneren Bezirke, benötigt man keine in diese richtungweisenden Statistiken, um zu spüren, wohin sich die Flächenbedarfe entwickeln.

Fahrrad- und e-Scooterdichte haben in einem enormen Ausmaß zugelegt, sodass die Stadtinfrastruktur rasch entsprechend angepasst werden muss.

Ausweitung Tempo 30

Dass darüber hinaus eine massive Ausweitung von flächendeckenden Geschwindigkeitsbegrenzungen von 30 km/h in Wohnzonen sinnvoll wäre, ist durch Helsinki bewiesen. Die Stadt Wien könnte und sollte daher solche geschwindigkeitsbegrenzten Zonen im Rahmen ihrer laufend durchgeführten Grätzelentwicklungen in Blocksanierungsgebieten erweitern.

Letztlich wird es am politischen Willen der verantwortlichen Stadtpolitikerinnen und Stadtpolitiker liegen, ob Wien erfreulicherweise nicht nur weiterhin als eine der lebenswertesten Städte weltweit gilt, sondern auch in Sachen Verkehrssicherheit einen Spitzenplatz wie Helsinki einnehmen kann.

Zum Autor:

Klaus Atzwanger ist Verhaltenswissenschaftler und Unternehmensberater.

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