Wendepunkt Nahost: Anfang vom Ende der islamischen Diktatur im Iran

Getötete iranische Kommandeure und Nuklearforscher werden in Teherans Straßen affichiert.
Die Roten Khmer in Kambodscha und die Islamische Republik Iran mögen ideologisch gegensätzlich erscheinen – atheistisch-kommunistisch hier, theokratisch-islamisch dort –, doch weisen sie erschreckende Parallelen auf: Beide errichteten totalitäre Regime, die tief ins Privatleben eingreifen, Meinungsvielfalt unterdrücken und Opposition systematisch ausschalten. Beide Systeme versuchten, ihre jeweilige ideologische Utopie mit brutaler Gewalt durchzusetzen. Während die Roten Khmer eine klassenlose Agrargesellschaft schaffen wollten, strebt das iranische Regime eine schiitisch-theokratische Ordnung an. Gemeinsam ist ihnen die systematische Folter, öffentliche Hinrichtungen und die Verfolgung ethnischer und religiöser Minderheiten.

Siroos Mirzaei
Heuer wurde im Iran im Schnitt alle sieben Stunden eine Hinrichtung vollzogen. Repressive Maßnahmen wie Sittenpolizei, Kleidervorschriften oder „Hijab-Kliniken“ sind Alltag. Selbst Menschenrechtsanwältin und Sacharow-Preisträgerin Nasrin Sotoudeh darf ihren inhaftierten Ehemann nur mit Hijab besuchen. Eine SMS der Behörden drohte ihr mit Beschlagnahmung ihres Fahrzeugs, sollte sie erneut durch Videoüberwachung unverschleiert im Auto erfasst werden.
Außenpolitisch dominiert Feindbildrhetorik – mit Israel als erklärtem Hauptfeind. Seit der Islamischen Revolution 1979 verfolgt das Regime offen das Ziel der Zerstörung Israels. Über Jahrzehnte flossen Milliardenbeträge aus dem Staatshaushalt an Stellvertreterorganisationen wie die Hisbollah, die Hamas, an das Assad-Regime in Syrien, nach Irak und Jemen – ungeachtet von Massenarbeitslosigkeit und galoppierender Inflation im eigenen Land.
Besondere Brisanz entfaltet das iranische Atomprogramm. Das Bauen an der Atombombe ist Realität. Eine Uran-Anreicherung von drei Prozent wäre für den Betrieb von Atomkraftwerken ausreichend – wozu geht man also auf 60 Prozent? Laut einem Bericht der Welt am Sonntag vom 15. Juni 2025 verfügt der Iran über 64 Atomanlagen – manche bis zu 80 Meter tief unter der Erde –, verteilt über ein Gebiet von der Größe Westeuropas. Selbst die Zerstörung einzelner Standorte würde keine vollständige Entschärfung der nuklearen Bedrohung garantieren.
Gegenoffensive
Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober löste eine massive israelische Gegenoffensive aus, die inzwischen von Amnesty International als möglicher Völkermord eingestuft wird. Auch der Iran, als einer der Hauptunterstützer der Hamas, unterschätzte offenbar Israels militärische Stärke – und überschätzte die eigene. Innerhalb weniger Tage wurden hochrangige iranische Kommandeure ausgeschaltet. In Teheran wird die Ohnmacht der iranischen Streitkräfte besonders deutlich. Trotz jahrzehntelanger Kriegsrhetorik wurden keinerlei Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung getroffen – nicht einmal Schutzbunker. Angesichts der wachsenden Bedrohung haben zahlreiche Einwohner die Hauptstadt fluchtartig verlassen. Auf den Ausfahrtstraßen bildeten sich kilometerlange Staus. Diese Offenlegung der Verwundbarkeit des iranischen Regimes im asymmetrischen Krieg könnte einen historischen Wendepunkt markieren.
Wird die iranische Bevölkerung diese Schwäche nutzen können, um die jahrzehntelange Schreckensherrschaft der Revolutionsgarden unter Ali Khamenei zu beenden? Welche politischen Kräfte könnten aus dem Untergrund hervortreten, um einen Wandel anzuführen? Steht Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs, vor einer realen Chance, seine Anhängerschaft im Iran zu mobilisieren? Wären andere Oppositionsgruppen bereit, sich mit ihm zu verbünden? Einige dieser Fragen könnten sich in den nächsten Tagen klären, andere erst im Verlauf der kommenden Monate. Das Regime könnte versuchen, durch Verhandlungen, deren Abmachungen sie nicht einhalten werden, sein Überleben zu verlängern. Falls der Westen auch mit der Opposition (v.a. Pahlavi) Gespräche führt, kann das Ende schneller näher rücken.
Eines scheint absehbar: Der Anfang vom Ende der islamischen Diktatur ist eingeläutet. Mit etwas Glück könnte eine demokratisch gewählte, säkulare Regierung im Iran nicht nur ein Garant für Frieden im Nahen Osten sein – sondern auch eine verlässliche Partnerin für die Energieversorgung des Westens.
Zum Autor:
Siroos Mirzaei ist Nuklearmediziner und Primar in Wien, Mitgründer von Hemayat, das traumatherapeutische Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden anbietet.
Kommentare