Vermögensschere: Die Ungleichheitsfalle schnappt auch hierzulande zu

Vermögensschere: Die Ungleichheitsfalle schnappt auch hierzulande zu
Wir steuern auf eine globale Ungleichheitsnotlage zu. Diese Dynamik betrifft insbesondere Österreich. Ein Gastkommentar von Barbara Schuster.

Wirtschaftliche Ungleichheit ist kein Schicksal, sie ist das Ergebnis von politischen Entscheidungen. Österreich trifft seit Jahren die falschen.

Eine neue Studie des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz bringt es auf den Punkt: Wir steuern auf eine Ungleichheitsnotlage zu. Er warnt vor einem globalen Notstand, weil Vermögen sich immer stärker konzentriert, während die Einkommen breiter Schichten stagnieren oder verlieren. Diese Dynamik betrifft nicht nur die USA, sondern auch Europa. Auch Österreich hat eine Schieflage, die sich immer weiter vertieft: Wer arbeitet, zahlt den Großteil der Steuern. Wer besitzt, wird geschont.

Die Zahlen sprechen für sich. Das reichste Prozent der Haushalte besitzt rund die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Trotzdem tragen Vermögenssteuern nicht einmal zwei Prozent zum Steueraufkommen bei. Das ist einer der niedrigsten Werte der Industriestaaten. Die Last liegt auf den Schultern der Beschäftigten, deren Einkommen mit bis zu 50 Prozent Lohn- und Sozialabgaben belastet wird. Auf Kapitalerträge hingegen fallen gerade einmal 27,5 Prozent an, auf große Vermögen und auf große Erbschaften fast gar nichts. Das Ergebnis: Wer arbeitet, finanziert die Republik. Wer besitzt, nicht.

Ein Steuersystem, das Leistung stärker belastet als Besitz, schwächt auch die Wirtschaft selbst. Wenn Arbeit teuer und Kapital billig ist, werden falsche Anreize gesetzt. Investitionen in Maschinen lohnen sich mehr als jene in Menschen. Das drückt auf Löhne, lähmt Aufstiegschancen und verstärkt die soziale Spaltung. Stiglitz benennt das als Ungleichheitsfalle. Und sie schnappt auch hierzulande zu.

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Barbara Schuster

Reformverweigerung

Andere Länder haben längst reagiert. Spanien, Norwegen oder die Schweiz erheben Vermögenssteuern. Österreich hingegen verweigert sich jeder ernsthaften Reform, selbst einer Diskussion. Dabei zeigen Berechnungen, dass schon eine moderate Vermögenssteuer jährlich fünf Milliarden Euro einbringen könnte. Das wäre genug, um Bildung, Pflege und Klimaschutz solide zu finanzieren. Dass dennoch blockiert wird, hat weniger mit ökonomischer Vernunft zu tun als mit dem politischen Druck der Besitzenden.

Das gern gebrachte Argument vom „Standortnachteil“ ist vorgeschoben. Vermögen ist weniger flüchtig, als seine Eigentümer behaupten. Wer Milliarden in Immobilien, Firmenanteile oder Grund und Boden gesteckt hat, kann das nicht ins Ausland verlegen. Was tatsächlich flüchtig ist, ist das Vertrauen in ein gerechtes Steuersystem. Joseph Stiglitz nennt die wachsende Ungleichheit eine Gefahr für den sozialen Frieden. Recht hat er. Wenn Arbeitnehmer:innen erleben, dass sie brav zahlen, während andere steuerliche Schlupflöcher nutzen, dann verliert der Sozialstaat seine Akzeptanz.

Ein System, von dem alle profitieren, muss auch von allen getragen werden. Österreich hat die Wahl: weiter zuschauen, wie sich Vermögen konzentriert und Arbeit besteuert wird oder endlich handeln.

Zur Autorin:
Barbara Schuster ist stv. Chefökonomin am ökosozialen und gewerkschaftsnahen Momentum Institut.

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