Ukraine: Gebietsverluste gegen dauerhaften Schutz durch Drohnenschild

Ukrainisches Training an der Drohne: Die militärischen Flugkörper haben das Gesicht des Krieges verändert.
Während der Friedensprozess für die Ukraine in der Schwebe bleibt, diskutieren Staatschefs weltweit über mögliche Sicherheitsgarantien. Doch keine dieser Ideen wirkt realistisch: Moskau hat jede Form ausländischer Militärpräsenz kategorisch abgelehnt. Selbst eine gemischte Friedenstruppe aus China und NATO-Staaten würde der Kreml mit vorgeschobenen Gründen verweigern. Was bestenfalls übrig bleibt, ist eine unverbindliche Erklärung – so wertlos wie das berüchtigte Budapester Memorandum.
Die eigentliche Lösung könnte aber näher liegen, als man denkt. Wer heute über Truppen, Stützpunkte oder Flugplätze nachdenkt, bereitet sich auf einen Krieg vor, der so nicht mehr stattfinden wird. Die Gefechte an der Front haben die militärische Logik von 2022/23 grundlegend verändert. Schon seit 2024 sterben laut russischen Angaben drei Viertel der Soldaten durch Drohnenangriffe; ukrainische Quellen sprechen gar von bis zu 95 Prozent. Die Frontlinie ist kein Netz von Schützengräben mehr, sondern ein 15 bis 20 Kilometer breiter Streifen Niemandsland, der Tag und Nacht von Drohnen durchdrungen wird.

Wladislaw Inosemzew
Neuer Rüstungswettlauf
Dennoch definieren Politiker „Sicherheit“ weiterhin über Luftabwehrsysteme von Konzernen wie Raytheon oder über teure Panzer von Rheinmetall. Doch diese Denkweise ist überholt: Russland kann binnen einer Nacht bis zu 600 Langstreckendrohnen auf die Ukraine losschicken. Würde die Zahl auf mehrere Tausend steigen, wäre jede Luftverteidigung machtlos.
Hier bahnt sich ein neuer Rüstungswettlauf an – buchstäblich in der Luft. Die USA produzieren derzeit nur einige Zehntausend Drohnen pro Jahr, meist teuer und von Großkonzernen entwickelt. Die Ukraine hingegen fertigte 2024 bereits rund 200.000 Stück monatlich – billige, kurze Reichweitenmodelle, hergestellt von Hunderten kleinen Firmen in Werkstätten und Garagen. Offizielle Stellen sprechen inzwischen von einer möglichen Jahresproduktion von zehn Millionen.

Mykhailo Kukha
Millionen Drohnen
Eine solche Massenwaffe könnte die Rolle der Atomwaffen einst ersetzen: Im Kalten Krieg verfügte niemand über Millionen Raketen – künftig aber vielleicht über Millionen Drohnen.
Russland klammert sich an alte Vorstellungen von Militärbasen und „NATO-Präsenz“. Doch Kiew und der Westen müssen die Spielregeln neu schreiben. Die Zustimmung des US-Präsidenten Donald Trump, bis zu 50 Milliarden Dollar für Drohnenkäufe in der Ukraine bereitzustellen, kann ein erster Schritt sein. Noch wichtiger wäre ein zeitlich begrenzter Waffenstillstand – selbst zu Putins Bedingungen –, um der Ukraine Zeit zum massiven Ausbau ihrer Drohnenindustrie zu geben. Schon wenige Monate könnten genügen, um sie mit westlicher Technologie und Finanzierung nahezu unangreifbar zu machen. Europa müsste dann nicht fünf Prozent seines BIP für Verteidigung ausgeben, weil Sicherheit durch viel günstigere Mittel erreichbar wäre.
Territoriale Kompromisse
Heute können nur drei Staaten zu echten Drohnenmächten aufsteigen: Ukraine, Russland und – lernend aus dem Krieg – China. Vielleicht ist jetzt der Moment, über territoriale Kompromisse nachzudenken, wenn diese den Westen in die Lage versetzen, eine „Drohnenschild“ entlang der russischen Grenzen aufzubauen und diese Technologie auch auf Partner wie Israel oder Taiwan auszudehnen. Wie einst die nukleare Abschreckung ein Gleichgewicht des Schreckens schuf, könnte nun das Prinzip des „gegenseitig unzumutbaren Schadens“ für Stabilität sorgen. Verstärkt werden sollte dies durch die Drohung, bei jedem russischen Vertragsbruch sämtliche ökonomischen Beziehungen – auch zu Verbündeten Moskaus – abzubrechen.
Wir wissen, wie schwer der Abschied vom traditionellen Denken fällt. Doch die Stärke des Westens lag stets in seiner Fähigkeit zur Innovation. Diese Fähigkeit muss jetzt erneut genutzt werden.
Zu den Autoren:
Wladislaw Inosemzew ist Mitbegründer und Senior Fellow des Center for Analysis and Strategies in Europe, eines in Zypern ansässigen Thinktanks. Mykhailo Kukhar ist Chefökonom des Forschungszentrums Ukraine Economic Outlook in Kiew, spezialisiert auf makroökonomische Analysen und Prognosen.
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