Putins neue Taktik in der Ukraine

FILE PHOTO: U.S. President Trump meets with Russian President Putin in Alaska
Auch ohne Krieg kann Russland viele seiner Ziele erreichen. Vorerst geht es aber noch um Gebietsgewinne. Ein Gastkommentar von Janos I. Szirtes.

Nach dreieinhalb Jahren der Aggression hat es den Anschein, als ob Putin seine konsequente Haltung bezüglich der Vernichtung der Ukraine langsam aufgibt. Zwar wird in Moskau nach wie vor betont, die Ziele des Kremls müssen sich erfüllen, wenn man zu einem wie auch immer gearteten Waffenstillstand oder Friedensvertrag kommt, doch diese Haltung hat in der letzten Zeit scheinbar Brüche bekommen.

Der Anschein trügt. Nicht die Ziele, sondern der dazu führende taktische Weg hat sich geändert. Dies hat einige Ursachen. Zunächst hat der Blitzkrieg nicht funktioniert, und obwohl die russische Armee seit Monaten Gebietserfolge aufzuweisen hat, ist das Tempo dieser zwar zunehmend, aber sehr langsam und außerordentlich blutig. Bei diesem Tempo wären Jahrzehnte erforderlich, um die ganze Ukraine einzunehmen. Die Ukraine hat nämlich im Jahr 2025 bisher 0,6 % ihres Territoriums verloren, die Menschenopfer werden auf 71.000 geschätzt. Russlands Menschenopfer sollen 261.000 betragen. Zwar spielt dies in Moskau traditionell seit der Zarenzeit keine Rolle, aber die wachsende Zahl bringt innenpolitische Schwierigkeiten, und dies zählt.

Zweitens: Russland kann die Kosten des Krieges nicht mehr lange tragen. Fast die Hälfte der sinkenden Einnahmen geht in den Kriegskosten auf. Die Finanzierung der Rüstungsindustrie musste mangels Budgetdeckung gesenkt werden, das BIP stagniert, das Defizit wächst, Kredite können aufgrund der internationalen Sanktionen nicht aufgenommen werden. Es droht die Gefahr, dass die Bevölkerung in zunehmender Weise die Kosten des Krieges zu spüren bekommt, was für sie der einzige Grund wäre, der Autokratie die Gefolgschaft zu verweigern.

Putins neue Taktik  in der Ukraine

Janos I. Szirtes

Zwei Phasen

Aus innenpolitischen, niemals zugegebenen Gründen muss Putin seine Taktik ändern und sein Ziel in zwei Phasen verwirklichen. In der ersten Phase soll ein Waffenstillstand – vielleicht auch Friedensvertrag genannt – entlang der Frontlinie vereinbart werden. Möglichst verzögert, um gegebenenfalls weitere Territorien zu erobern. Ob dazu die stärksten Verteidigungslinien im Donbass gehören werden, die Putin derzeit auf dem Verhandlungsweg umsonst und ohne Kampf bekommen will, ist fraglich, aber unter dem Gesichtspunkt der Beendigung der Kampfhandlungen für ihn wesentlich, um sein Gesicht im Inland zu wahren.

Drittens geht es um möglichst schwache Garantien – obwohl dies wegen der zweiten Phase nicht unbedingt entscheidend wäre. In dieser zweiten Phase soll das demokratische System der Ukraine zunächst durch massiven hybriden Krieg zu einem russlandfreundlichen Regime umgewandelt und damit zu einem Vasallen werden. Für dieses Szenario gibt es aus der Sicht Putins sehr gute Aussichten, weil durch einen de facto Territorialverlust sowohl Selenskij als auch das demokratische System des Landes diskreditiert würden.

Putin wird auf einige seiner Forderungen (Entwaffnung der ukrainischen Armee, Sicherheitsgarantien, Klärung der Nationalitätenfrage) beharren – in der Hoffnung, zu einem günstigeren Ergebnis zu kommen. Aber letzten Endes braucht er dies alles nicht. Durch die Hintertür kann er seine Ziele ohne Krieg erreichen und bei diesem Vorgehen kann ihm weder Trump noch die derzeitige ukrainische Führung oder Europa etwas entgegensetzen.

Zum Autor:

Janos I. Szirtes ist Politikwissenschafter, lebt in Budapest, war Journalist und Diplomat.

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