Philosophicum Lech: Häkchentourismus statt echtem Abenteuer

Der Veranstaltungsort Lechwelten.
Ausgerechnet im hochtechnisierten Tourismusort Lech am Arlberg wurde in diesen Tagen das Thema „Abenteuer“ verhandelt. Im Rahmen der Tagung Philosophicum Lech, versteht sich, bei Konrad Paul Liessmann und der Schweizerin Barbara Biersch.
Gibt es noch echte, erlebbare Abenteuer? Schon der Gedanke daran beflügelt Millionen Menschen. Der Abenteuer-Tourismus hat sich zu einer Milliardenindustrie entwickelt. „Kulturelles Eintauchen, eine natürliche Umgebung und körperliche Aktivität“ sollen es sein, meint der Abenteurer-Dachverband ATTA. Und natürlich das Ungewisse und Einzigartige. Doch dazu steht einiges im entlarvenden Widerspruch.

Hans-Peter Martin
Der Schriftsteller Kurt Tucholsky, keineswegs nur ein scharfer Beobachter des heraufziehenden Faschismus, argumentierte bereits 1931: „Wenn Du aufwärts gehst und dich hochaufatmend umsiehst, was du doch für ein Kerl bist, der solche Höhen erklimmen kann, dann entdeckst Du immer Spuren im Schnee. Es ist schon einer vor Dir dagewesen ... alle Lebensgefühle hat schon einer vor Dir gehabt. Es gibt keinen Neuschnee.“
Ein Jahrhundert später ist der Planet zentimetergenau erkundet, Trampelpfade weisen den Weg, der Schnee schmilzt auch in Lech. Hinzu kommt das Dilemma, das die meisten Reisenden gefangen hält: Sie wollen trotz aller Erlebnislust die Kontrolle nie verlieren, alles muss planbar und kalkulierbar bleiben. Nicht wenige, die sich subjektiv im Abenteuerurlaub in die vermeintliche Wildnis stürzen, überprüfen anhand ihrer Reiseunterlagen genauestens, ob ihnen auch tatsächlich X-Elefanten und Y-Krokodile geboten werden und sich das Ungewisse nur auf Wetterkapriolen oder Flugverspätungen beschränkt. Nicht wenige bestehen sogar darauf, die Speisenfolge an den Safari-Abenden vorab zu wissen – und machen dann imaginäre Häkchen, ob auch alles so eingetroffen ist wie angekündigt. Versicherungen gegen alle Risiken gehören da selbstverständlich ins Gepäck.
Und Abenteuermöglichkeiten in den Alpen? Liessmann spricht, den örtlichen Prospekten und Honoratioren hohnsprechend, vom „industrialisierten Freizeitpark “. Doch der Philosoph kennt sein betuchtes Lecher Publikum, in dem sich so viele abenteuerdurstige Häkchentouristen tummeln, und weiß um Trost: Nur der Rückkehrer, der von seinen Erlebnissen berichten kann, sei überhaupt ein Abenteurer. Wem dies nicht gelinge, wäre nur eine gescheiterte Existenz. Den „Zurückgebliebenen, den meisten von uns, träge“, falle damit eigentlich die zentrale Rolle zu. Reisen, wozu? Lass doch die anderen machen. Und dann schwärmt Liessmann von Karl May, der ihn so geprägt hat. Er war nie wo und doch voller „Abenteuer im Kopf“, die André Heller später glorifizierte. „Filzpatschentheoretiker“ nennt dies
eine der wachen Zuhörerinnen. Wahre Abenteuer, so ließe sich freilich mit Ernst Jünger argumentieren, „leben durch die Nähe des Todes, die es umkreist“, im Krieg. Und jetzt eröffnen sie sich in den Welten der Künstlichen Intelligenz, gepaart mit einem neuen Faschismus.
Zum Autor:
Hans-Peter Martin ist Journalist und Autor, war bis 2014 EU-Abgeordneter. Lebt in Vorarlberg und in Venedig.
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