Bezos-Hochzeit: Moderner Tech-Feudalismus protzt wie im alten Venedig

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Warum es wichtig ist, dem Amazon-Gründer Jeff Bezos jetzt die Stirn zu bieten. Ein Gastkommentar von Hans-Peter Martin.

Ist es richtig, gegen Jeff Bezos zu protestieren? Der viertreichste Mensch des Planeten inszeniert in diesen Tagen in Venedig seine Luxushochzeit mit Lauren Sanchez. Na und? Schon in Hoch-Zeiten der Lagunenstadt stellten die noblen Reichen ihren Luxus hemmungslos zur Schau. Overtourism? 250 geladene Gäste und einige Tausend Schaulustige verschärfen dieses zersetzende Problem allenfalls am Rande, denn täglich strömen bis zu 150.000 Besucher zum Markusplatz. Und zuletzt feierten doch George Clooney und Amal Alamuddin opulent am Canal Grande und die Serenissima sich selbst.

Bezos ist aber kein angesehener Schauspieler mit Stil und heiratet auch keine Menschenrechtsanwältin. Wohl aber ist er ein Oligarch und insofern den Dogen ähnlich. Sein Reichtum beruht nicht nur auf kaufmännischem Geschick, sondern ebenso auf Ausbeutung. Die miserablen Arbeitsbedingungen bei Amazon sind legendär. Leiharbeiter verdienen nicht einmal den Mindestlohn. In den Hallen des Versand-Imperiums werden nicht nur Pakete gescannt, sondern auch die Bewegungen der Mitarbeiter erfasst. Immer wieder wehrten sich geschundene Ruderer auf Venedigs Galeeren gegen die Herrscher. Warum dann nicht jetzt „No Bezos“?

Hans-Peter Martin

Journalist, Buchautor und Ex-Politiker Hans-Peter Martin lebt in Vorarlberg und in Venedig.

Ein Herrschender

Aber ist Bezos ein Herrschender – und nicht bloß ein skrupelfreier, besonders erfolgreicher Unternehmer? Ja, denn mit amazon.com verfügt er inzwischen über inakzeptable Macht. Er agiert nicht mehr wie ein Kapitalist im Wettbewerb, sondern wie ein Lehensherr. Immer weniger Anbieter können es sich leisten, dort nicht präsent zu sein. Sie werden zu Vasallen von Big Tech. Amazon legt die „Verkaufsgebühren“ fest, je nachdem. Undurchsichtige Algorithmen bestimmen die jeweilige Reihung und erhöhen die Abhängigkeit. Wie bei Booking.com oder Airbnb besteht kein unternehmerisches Risiko durch Produktion oder Besitz von Waren, es wird nur eine Plattform zur Verfügung gestellt. „Techno-Feudalismus“ nennt das Yanis Varoufakis, Ökonom und kurzzeitiger griechischer Finanzminister, im gleichnamigen Buch.

Das Grundkonzept war genial. Kein Buchhändler kann Millionen Bücher im Regal stehen haben, aber über das Internet wurden sie alle sofort bestellbar und zügig zugestellt. Inzwischen hat sich Amazon aber verselbstständigt, ist in fast alle Produktbereiche vorgedrungen und krakt immer weiter. „Bezos gehört das gesamte System: sinnbildlich gesprochen die Hauptstraße, die Einkaufsstraße, das ganze Areal“, so Varoufakis.

Amazon zahlt kaum allgemeine Steuern, seltenst Unternehmenssteuern, und das völlig legal. Der CO2-Fußabdruck des Konzerns ist größer als jener von zwei Dritteln der Länder der Welt. Und nein, wir wissen nichts von einem Planeten B, auf den wir uns zurückziehen könnten, selbst wenn Bezos mit Blue Origin und Musk mit SpaceX ins All streben. Die Pandemie ließ Umsätze explodieren, denn Amazon braucht keine Laufkundschaft, sondern liefert. Und immer mehr Menschen, die glauben, ihre persönliche Freiheit und Lebensqualität über Amazon zu pflegen, machen sich zu Ausgelieferten. Ihre preisgegebenen Vorlieben verwandeln sich in einen Datenschatz, der zu immer neuen Kaufverlockungen und Angebotsfokussierungen führt. Weil Bezos so mächtig geworden ist, kann er die Bedingungen diktieren. Und je mehr sein Unternehmen über jeden Kunden weiß, umso leichter lässt der sich (ver)führen.

Seit die Demokraten in den USA vorsichtig begannen, Tech-Kartelle und Monopole zu regulieren, wenden sich mehr und mehr Tech-Feudalisten den Trumpisten zu. Bezos kaufte die liberale Washington Post, Elon Musk Twitter, nunmehr X. In Zeiten, in denen der mediale Rufmord die politische Hinrichtung bedeuten kann, sind dies unschätzbare Waffen im Arsenal.

Widerstand als Pflicht?

In Venedigs Arsenale, dem dieser Begriff seinen Ursprung verdankt, verschanzt sich Bezos am Samstagabend vor den Protestierenden. In der Bucht dockten monströse Motorjachten mit schwerreichen Gästen an. Es sind Protzboote wie in der Vergangenheit, als es kein Wahlrecht und absolutistische Herrscher gab. Auch Mitglieder der Trump-Familie sind geladen. All dies führt zu einem Rückfall in vorkapitalistische und autokratisch dominierte Zeiten. So gesehen wählte Bezos den richtigen Ort. Die Hochzeit und Venedig als Traumprojektion wurden zum Pflichttermin für die globale Bildergier. In diesem historischen Rahmen kann für aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger Widerstand zur Pflicht werden. Ohne ihn hätte es keine Demokratien gegeben und auch keine soziale Marktwirtschaft.

Zum Autor:

Hans-Peter Martin ist Journalist und Buchautor, war von 1999 bis 2014 EU-Abgeordneter. Er lebt in Vorarlberg und in Venedig.

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