Österreich an Wendepunkt: Lohnverhandlungen im Strukturwandel

Die traditionellen Rollen im Lohngefüge geraten ins Wanken. Jahrzehntelang galt die Metallindustrie als Zugpferd der Kollektivvertragsverhandlungen, ihr Abschluss als Messlatte für andere Branchen. Das gilt aktuell nicht mehr, denn die verschiedenen Branchen sind konträren Bedingungen ausgesetzt: Die Metallindustrie schwächelt unter mangelnder Nachfrage und hohen Energiepreisen, während Eisenbahn und Sozialwirtschaft dringend zusätzliches Personal brauchen.

Barbara Schuster.
Die europäische Industriekonjunktur liegt am Boden. Nach drei Jahren des Schrumpfens regnet es statt dem erhofften Aufschwung Stornierungen und Kündigungswellen. Dementsprechend gab es bei den Verhandlungen der Metallindustrie kaum etwas zu verteilen. Durch zwei Einmalzahlungen hält der Abschluss kurzfristig zwar die Kaufkraft aufrecht, langfristig kostet die unterinflationäre Lohnanpassung den Beschäftigten aber viel Geld und fehlt bei jeder kommenden Lohnverhandlung, sowie schlussendlich auch in der Pension. Für die Metallbranche mag dieser Abschluss unter den aktuellen Bedingungen nachvollziehbar sein, doch als Blaupause für andere Branchen taugt er nicht.
Denn während in der Industrie Jobs verschwinden, suchen Eisenbahn und Sozialwirtschaft händeringend Personal. Allein die ÖBB brauchen in den nächsten fünf Jahren 25.000 zusätzliche Beschäftigte. Bei der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege kommen aktuell etwa vier offene Stellen auf eine arbeitslose Person, in der Elementarpädagogik sind es fast drei unbesetzte Stellen. Beides Branchen, wo in Zukunft noch deutlich mehr Personal benötigt wird. Wo Fachkräfte fehlen, müssen die Löhne überdurchschnittlich steigen. Ein reiner Inflationsausgleich reicht nicht, um neue Arbeitskräfte zu gewinnen oder erfahrene zu halten.
Auch im öffentlichen Dienst zeigt sich ein Dilemma. Die Regierung hat den Gehaltsabschluss der öffentlich Bediensteten, der eigentlich für zwei Jahre gelten sollte, aufgeschnürt, um EU-Sparvorgaben zu erfüllen. Damit bleiben die Einkommen in den kommenden drei Jahren hinter der Teuerung zurück – für viele Beschäftigte summiert sich das auf Tausende Euro Verlust. Die soziale Staffelung im Abschluss ist jedoch immerhin ein Zeichen dafür, dass die Sozialpartnerschaft funktioniert. Einkommensärmere werden eher geschützt, während Besserbezahlte ein wenig verlieren. Doch insgesamt kosten Abschlüsse unter der Inflation nicht nur Vertrauen – wurde ihnen doch vergangenes Jahr für die diesjährigen Verhandlungen noch +0,3 Prozent über der Inflation versprochen, gibt es nun im ersten Halbjahr 2026 de facto eine Nulllohnrunde – sondern reduzieren zudem auch die Kaufkraft. Damit kürzt die Kürzungspolitik den so ersehnten Wirtschaftsaufschwung gleich mit. Wenn die Menschen weniger Geld ausgeben können, weil sie einfach weniger haben, bremst das eben auch das erwartete Wachstum.
Die Lohnverhandlungen zeigen: Österreich steht an einem Wendepunkt. Löhne müssen dort steigen, wo Personal fehlt, das entlastet am Ende das ganze Land – wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Zur Autorin:
Barbara Schuster ist stellvertretende Chefökonomin am ökosozialen Momentum Institut.
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