Kein Kleinreden von Problemen in der Medizin mehr

Täglicher Stau auf der Südosttangente, überfüllte Öffis, volle Parkplätze vor Einkaufszentren. Wien scheint buchstäblich aus den Nähten zu platzen, was zahlenmäßig belegbar ist. Laut Wikipedia umfasst die Metropolregion Vienna fast 2,9 Mio. Einwohner. Als Antwort auf diese Entwicklung wird eine neue U-Bahn-Linie errichtet, man diskutiert eine zusätzliche Start-und Landepiste am Flughafen Schwechat, in den Flächenbezirken werden neue Wohnhausanlagen errichtet.
Nur im Gesundheitsbereich wird dieser Entwicklung nicht Rechnung getragen: Erinnert sich jemand an die ehemalige „Allgemeine Poliklinik“ oder das „Elisabethspital“? In den letzten 30 Jahren wurde in Wien ein Krankenhaus neu errichtet (Klinik Floridsdorf), mehrere Spitäler und deren Ambulanzen wurden geschlossen (Lorenz-Böhler-UKH) und teilweise in den Neubau übersiedelt. Zusätzlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass in Wien dauerhaft Hunderte Spitalsbetten aufgrund von personellen Engpässen gesperrt sind. Dies vor dem Hintergrund einer rasch wachsenden, immer älter und kränker werdenden Bevölkerung mit entsprechendem Bedarf an medizinischer und pflegerischer Hilfe.

Peter Poslussny
Österreichweit bezogen im Mai 2025 500.000 Personen Pflegegeld, davon knapp 6 Prozent in den höchsten Stufen 6 und 7. Diese Menschen haben rund um die Uhr pflegerischen Bedarf, verbunden mit teilweise hohen Kosten für Hilfsmittel. Auch die niedergelassene Medizin in Wien hält mit der Demografie nicht Schritt: die Zahl der Kassenärzte ist seit 2010 um etwa 11 Prozent gesunken. Die KollegInnen können keine neuen Patienten mitversorgen, das antiquierte und realitätsfremde Honorarsystem lässt nur mehr Patientenkontakte im Akkord zu.
Dass mittlerweile monatelanges Warten auf geplante Operationen zur Normalität wurde, ist Thema vieler Reportagen und Talkshows.
Um hier zumindest schrittweise Abhilfe zu schaffen, bedarf es selbstredend eines hohen finanziellen Aufwandes aber auch Konzepten, um dem Personalmangel entgegenzuwirken, der sich u.a. durch die Pensionierung der sogenannten Baby-Boomer-Generation in den nächsten Jahren noch verschlimmern wird.
Zunächst darf sich die Bevölkerung von der Politik vor allem eines erwarten: Ehrlichkeit. Das Schön- und Kleinreden von herrschenden Problemen, die Fantasien von Zwangsrekrutierung für ÄrztInnen, ein nicht zu Ende gedachtes mögliches Verbot von Nebentätigkeiten im ärztlichen Bereich – all das schafft keine zusätzlichen Kapazitäten und wirkt im Gegenteil demotivierend auf die Menschen, die rund um die Uhr in den Spitälern Dienst versehen oder bis in die späten Abendstunden die Ordinationen führen.
Deshalb muss offen an- und ausgesprochen werden, dass das Angebot in Wien an medizinischer Leistung mit der Nachfrage nicht mehr mithält. Ob der Österreicher wie behauptet zu oft zum Arzt geht, sei an anderer Stelle diskutiert, dass der Zugang zur medizinischen Leistung immer schwieriger wird, ist Tatsache und darf nicht mehr schöngeredet werden.
Zum Autor:
Peter Poslussny ist stationsführender Oberarzt an der Klinik Floridsdorf und Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien.
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