Erinnern hilft: Neue Straßen sind selten die Lösung

Wir sind Auto
Die Konzepte der großen Entlastungsstraßen sind im Wesentlichen veraltet. Ein Gastkommentar von Klaus Atzwanger.

Manchmal ist es ein Vorteil älter zu sein. Man erinnert sich an emotionale Debatten in der Vergangenheit und ihr durchaus überraschendes Ergebnis.

Ich bin als Kind in den 1970ern im Wiener Gemeindebezirk Penzing in Hütteldorf aufgewachsen und kann mich daher gut an die Diskussion zur sogenannten Flötzersteig-Stelzen-Autobahn erinnern.

In den 1970er-Jahren wurde von der Stadt Wien eine auf Stelzen als Hochstraße über Hütteldorf führende Autobahn geplant, die von der Westeinfahrt im Bereich des Rückhaltebeckens Wien-Auhof bis zur Flötzersteigstraße im Bereich Tinterstraße führen sollte.

Ein älterer Mann mit Glatze und weißem Hemd blickt ernst in die Kamera vor hellem Hintergrund.

Klaus Atzwanger

Überlastet

Es wurde damals argumentiert, dass die überlastete Westeinfahrt der A1 Westautobahn nur durch eine solche Autobahnbrücke über dicht verbautes Wohngebiet entlastet werden könnte, anderenfalls der Verkehr in wenigen Jahren zum völligen Erliegen kommen würde.

Eine verwirrend formulierte Wiener Volksbefragung führte 1980 zu einem unklaren Ergebnis, das unterschiedlich interpretiert werden konnte. Letztlich wurde die Flötzersteig-Stelzen-Autobahn nach langen Diskussionen zur Überraschung vieler durch eine starke Bürgerinitiative verhindert.

Kein Kollaps

Heute, rund 45 Jahre später, funktioniert die Westeinfahrt im Wesentlichen nach wie vor. Wie in jeder Großstadt kommt es an Abenden von Sonn- und Feiertagen manchmal zu Staus, aber der vorhergesagte Kollaps ist trotz deutlicher Zunahme des motorisierten Individualverkehrs ausgeblieben. Verschiedene Fahrspuroptimierungen wurden zugefügt, und die wissenden WienerInnen vermeiden an Sonntagen zwischen 17 und 20 Uhr den Bereich, beziehungsweise versuchen eben früher oder später die Stelle zu durchfahren.

Hütteldorf hat sich weiter zu einer der beliebtesten und hochpreisigsten Wohngegenden in Wien entwickelt, weil eine gute Anbindung an öffentliche Infrastruktur durch die U-Bahn sowie verschiedene Straßenbahnen und Busse das Wohnen im Grünen nahe der Grünoase Wienerwald lebenswert machen – und eben keine Autobahn über die Köpfe hinwegführt.

Verkehrsvermeidung

Was lernen wir daraus: auch wenn es manchmal so scheint, als würden weitere Straßenbauten zur Entlastung von Wohngebieten führen, ist häufig das Gegenteil der Fall. Urbane Lebensräume müssen durch moderne Konzepte weiterentwickelt werden. Diese beinhalten die weitestgehende Vermeidung von häufig erforderlichen Wegen zwischen Arbeit, Wohnen und Freizeit durch die Schaffung von Siedlungsgebieten, die alle drei Nutzungsansprüche gleichzeitig befriedigen. Die Verkehrsinfrastruktur muss mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln weiter massiv ausgebaut werden, um die Mobilitätsansprüche der Menschen in stadt- und umweltverträgliche Bahnen zu lenken.

Veraltete Ideen

Die Ideen und Konzepte der großen Entlastungsstraßen in urbanen Gebieten sind im Wesentlichen veraltet. Wenn man zusätzlich die langen Bauzeiten von Infrastrukturprojekten mitdenkt, wird deutlich, dass es visionärer Planerinnen und Planer und Politikerinnen und Politiker bedarf, die nicht in fünf bis Zehnjahresräumen denken, sondern in ihren Planungen 20 bis 30 Jahre voraus antizipieren.

Eine Verschränkung von Interessen, die Grundbesitzerinnen und Grundbesitzer in Gebieten von geplanten Stadtbauprojekten durch Spekulation auf Umwidmungen haben können, ist durch scharfe gesetzliche Regelungen mit entsprechenden Strafen zu unterbinden. Wer über Stadt- bzw. Straßenbauprojekte irgendwie mitentscheiden kann, muss nachweislich frei von jeglichem persönlichen Interesse sein.

Das Mobilitätsverhalten wird in Zukunft ein anderes sein als heute. Wir müssen unsere Stadtplanung von heute für unsere Kinder und Enkelkinder denken, und die Klima- und Umwelterfordernisse entsprechend mitberücksichtigen.

Neue Straßen sind dabei selten die Lösung.

Zum Autor:

Klaus Atzwanger ist Verhaltenswissenschaftler und Unternehmensberater.

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