Die ungeliebte EU-Erweiterung

Tschechiens Premier Petr Fiala mit Nordmazedoniens Premier Dimitar Kovacevski dem albanischen Premier Edi Rama bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Kommenden Dezember können die Menschen in Nordmazedonien einen besonderen Jahrestag begehen: Seit 20 Jahren ist ihr Land offiziell Beitrittskandidat der EU. Montenegro hat diesen Status seit 15 Jahren, in Serbien jährt er sich heuer zum dreizehnten, in Albanien zum elften Mal, Bosnien-Herzegowina ist seit knapp drei Jahren Teil dieser Ländergruppe.
Die Erweiterung der Europäischen Union, ein Kernstück und bisheriges Erfolgsmodell der europäischen Einigung, stockt. Daran ändert auch die Zuerkennung des Kandidatenstatus an die Ukraine, Moldau und Georgien in Folge des russischen Angriffskriegs wenig. Wenn sich schon der Beitrittsprozess der bevölkerungsmäßig kleinen, von EU-Staaten umgebenen, Länder des Westbalkans als so schwierig erweist, wird eine EU-Mitgliedschaft der Neuaspiranten, die allesamt im Visier Moskaus stehen, noch erheblich höhere Hürden zu überwinden haben.

Paul Schmidt
Ernüchternd
Der Befund ist ernüchternd, dabei wäre die Ausweitung einer Zone von Sicherheit, Wohlstand und Demokratie in einem Europa, das immer mehr unter externen und auch internen Druck gerät, notwendiger denn je.
Von politischer Seite wird in der EU und auch in Österreich stets gerne die Bedeutung der Erweiterung der Union betont, die Regierungen in fast allen Beitrittsländern zeigen sich an raschen Integrationserfolgen interessiert, doch die Realität hält mit den Erwartungen und Wünschen nicht Schritt.
Die Wirtschaft strauchelt, die Kluft im Wohlstandsniveau zwischen EU-Mitgliedern und Beitrittswerbern ist weiter beträchtlich, Reformen sowie Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, die für einen Beitritt Grundvoraussetzung sind, kommen vielfach nur spärlich vom Fleck. In der EU wiederum herrscht Unsicherheit, wie eine noch größere Union in der Praxis funktionieren soll, wenn es schon jetzt schwerfällt, so weitreichende gemeinsame Entscheidungen zu treffen.
Das zähe Beitrittsprozedere und nicht greifbare Perspektiven lassen auch in den EU-Mitgliedsländern viele an der Attraktivität einer Erweiterung zweifeln. In Österreich müsste die überwiegende Mehrheit, die sich hierzu gleichgültig bis ablehnend zeigt, erst einmal überzeugt werden, und EU-weit befürwortet zwar die Hälfte eine Vergrößerung in den kommenden fünf Jahren. Priorität ist diese aber nicht.
Mehr Ehrlichkeit
Ehrlichkeit wäre jedenfalls angebracht. Meint man es ernst, braucht es mehr Anstrengung aller Beteiligten. Und sollten nicht Island oder Norwegen plötzlich wieder auf den Integrationszug aufspringen, könnte vielleicht das kleine Montenegro den Bann brechen: Der gerade einmal 600.000 Einwohner zählende Staat an der Adria hat die relativ besten Chancen, in den nächsten fünf Jahren zur EU hinzuzustoßen und damit einen regionalen Dominoeffekt auszulösen.
Wenn aber selbst dieser kleine Schritt nicht gelingen mag, sollten wir den Erweiterungsprozess ganz grundsätzlich überdenken und uns eingestehen, dass in der aktuellen Verfasstheit eine enge Zusammenarbeit und größtmögliche Annäherung an die EU die realistischste Option darstellt.
Zum Autor:
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (getragen von der OeNB und den Sozialpartnern).
Kommentare