Die Bundesstaatsanwaltschaft ist kein Allheilmittel

Justitia im Wiener Justizpalast.
Die Bundesregierung hat sich am 9. Juli 2025 auf die Schaffung einer Bundesstaatsanwaltschaft geeinigt. Wichtige Schützenhilfe dazu kam einen Tag davor vonseiten der Europäischen Kommission, und zwar über den Rechtsstaatlichkeitsbericht, den die EU seit 2020 regelmäßig vorlegt und in dem von Anfang an Forderungen in Richtung größerer Unabhängigkeit der österreichischen Justiz erhoben worden sind. Diese jährlichen Rechtsstaatlichkeitsberichte haben sich mittlerweile generell zu einem etablierten, international einzigartigen Mechanismus entwickelt. Es ist schon klar: Die 2020 vorgetragenen Kritikpunkte an diesem Mechanismus haben in vielem ihre Gültigkeit nicht verloren. In Bezug auf viele EU-Mitgliedstaaten lesen sich die einzelnen Rechtsstaatlichkeitsberichte nämlich noch immer wie eine Pflichtübung, die dargeboten wird, um den Eindruck zu vermeiden, dass, nach der schönen Formulierung von Ulrich Hufeld, den „Renegaten der Rechtsstaatlichkeit“ (dabei stand und steht insbesondere Ungarn im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit) ein Übermaß an Aufmerksamkeit zuteilwürde. Und dennoch: Auch die Rechtsstaatlichkeitsberichte zu den übrigen Mitgliedstaaten werden detaillierter, der Ton etwas rigoroser. So auch in Bezug auf Österreich.

Peter Hilpold
Politische Bestellungen
Die Kommission nimmt sich kein Blatt mehr vor den Mund, wenn sie die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft und die Aufgabe des politischen Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften (die ebenfalls kommen soll) fordert. Sie äußert zusätzliche Kritik an der politischen Bestellung der Spitzen der Landesverwaltungsgerichte (wobei hierzu keine aktuelle Reforminitiative in Österreich erkennbar ist), das unabhängige Wirken der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wird ausdrücklich eingefordert. Auch auf das Problem der Evaluierung der Gerichte und auf die europaweit auffallend hohen Gerichtsspesen in Österreich wird eingegangen. Gerade in Bezug auf den zuletzt genannten Punkt ist zu ergänzen, dass dieses Problem noch viel weiterreichend ist, da auch die Anwaltskosten in Österreich im EU-Vergleich überdurchschnittlich hoch liegen und damit eine Frage des wirksamen Zugangs zur Justiz geschaffen wird. Damit zusammenhängend wäre auch zu prüfen, wie in Österreich alternative Formen der Streitbeilegung, insbesondere auch kostengünstigere Mediationsverfahren, weiter ausgebaut werden könnten.
Die Bundesstaatsanwaltschaft allein wird also die Rechtsstaatlichkeitssituation in Österreich nicht entscheidend verbessern können. Es sind vielmehr zahlreiche weitere Reformen erforderlich. Und selbst in Bezug auf die Bundesstaatsanwaltschaft ist darauf zu achten, dass die beharrenden Kräfte diese nicht von vornherein schwächen, bspw. über die Schaffung indirekter Einflussmöglichkeiten der Politik.
Qualitätssteigerung
Gleichzeitig bleiben wesentliche Punkte, die unmittelbar den europäischen Kontext betreffen, auch im Rechtsstaatlichkeitsbericht völlig unberücksichtigt: Evaluierung, Qualitätssteigerung der Rechtsprechung, Sicherung der Unabhängigkeit könnten maßgeblich gerade durch den „Dialog der Gerichte“ im europäischen Kontext gewährleistet werden. Dazu müsste der Zugang zum EuGH im Vorlageverfahren verbessert werden, der – trotz „Consorzio Italian Management“-Urteil – nach wie vor viel zu stark von einer subjektiven Entscheidung der nationalen Höchstgerichte abhängt, während unteren Instanzen Mut gemacht werden sollte, diese – für sie fakultative – Klärungsmöglichkeit in Anspruch zu nehmen. Dem Staatshaftungsrecht wegen judiziellen Unrechts („Köbler-Rechtsprechung“) müsste endlich praktische Wirksamkeit verliehen werden. Und nicht zuletzt müsste der Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) völlig neu geregelt werden. Mit einer Zulässigkeitsrate von gegenwärtig nicht einmal 5% ist hier kein wirksamer Zugang mehr gegeben. Die Rechtssuchenden bleiben damit in Straßburg selbst bei eklatanten Rechtsfehlern der Höchstgerichte häufig schutzlos.
Der Weg zu einer wirklichen europäischen Rechtsstaatlichkeit gerade im Justizwesen ist damit noch weit. Die aktuellen Reformschritte in Österreich sind notwendig, aber keinesfalls hinreichend.
Zum Autor:
Peter Hilpold lehrt Völkerrecht, Europarecht und Steuerrecht an der Universität Innsbruck.
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