Desinformation ist Dünger für den Extremismus

Österreichisches Parlament
Die Debattenkultur wird durch Erregungskultur mit emotionalisiertem Populismus verdrängt. Ein Gastkommentar von Johannes Thun-Hohenstein.

Sieht man das politische Spektrum als Kreis oder Hufeisen, bei dem sich die Ränder annähern oder sogar treffen, stellen wir fest, dass sie oft keine klaren, ideologisch unterschiedlichen Ausprägungen mehr ausweisen. Wir nennen das die Querfront. Das zeigt sich auch bei dem Abstimmungsverhalten dieser Randparteien in den Parlamenten der freien Welt. So stimmen AfD und BSW gerne miteinander gegen die Mitte-Parteien, die EU und mehr oder weniger im Sinne Russlands, manchmal auch Chinas und deren Freunde ab.

Wenn wir an die Kommunikation in der heutigen Politik denken, erkennen wir, dass gefühlt mindestens 80 % von einem populistischen, abwertenden, das Negative hervorhebenden und daher die Gesellschaft polarisierenden Stil getrieben werden.

Desinformation ist Dünger für den Extremismus

Johannes Thun-Hohenstein

Überprüfen wir diese Inhalte auf ihren Gehalt, stellen wir fest, dass wiederum 80 % davon von – zumindest teilweiser – Desinformation, bewusst desinformierender und damit polarisierender Interpretation getragen sind. Dabei wird jedes Mittel der Manipulation eingesetzt. Von Verkürzung, Weglassung, Einseitigkeit, Spiegelargumentation, erfundenen oder zweifelhaften Experten bis zu Strohmannargumenten, Whataboutismen, blanker Unwahrheit und „alternativen Fakten“ reichen hier die Mittel. Die konstruktive Behandlung der Themen im Sinne eines demokratischen, parlamentarischen Auftrags gerät unter die Räder.

Die Debattenkultur wird durch Erregungskultur mit den oben beschriebenen Mitteln und emotionalisiertem Populismus verdrängt. In diesem Klima blühen Desinformation und Propaganda auf. Übrig bleibt eine polarisierte, gespaltene Wählerschaft, die sich aus Frust oder Resignation als Protest zur Wahl von extremen Parteien verführen lässt. Desinformation dient daher vor allem den Extremen und wirkt wie Dünger für dieses „demokratiepolitische Unkraut“. Sie wirkt wie ein „Demokratizid“.

Sie unterwandert nicht nur die gesunde Entwicklung einer Demokratie, sondern reduziert auch deren Resilienz und trägt aktiv zum Absterben der Pflanze Demokratie bei. Demokratische Mitteparteien werden bei Wahlen von den radikalisierten Randparteien überholt. Desinformation entwickelt damit eine langfristig subversive Wirkung.

Aber bedenken wir bitte: Ein Extremist wird nicht zum Demokraten, weil er demokratisch gewählt wurde!

Dabei spielt auch die Kommunikation der Multiplikatoren aus Politik, aber vor allem des Journalismus einschließlich der freien Blogger eine große Rolle. Der Qualitätsjournalismus zeichnet sich neben der Themenauswahl durch Kenntnis und Berücksichtigung der Wirkung der Sprache aus. Auch Personen der Wirtschaft und andere Meinungsbildende wie Lehrpersonen sind gefragt, Desinformation zu erkennen, zu entlarven und nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Diese Kompetenz muss auf allen Ebenen erst aufgebaut werden – es ist höchste Zeit für sie alle, Teil eines „Desinfozids“ zu werden. Es wird zu einer Bedingung für das Überleben unserer Demokratien.

Zum Autor:

Johannes Thun-Hohenstein ist Medienmanager und Präsident des Instituts zur Verteidigung der Europäischen Demokratien – INVED.

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