Debatte um Dollfuß-Platz: Wie Erinnerungskultur nicht funktioniert

Umstrittenes Dollfuß-Thema
Erinnern statt Auslöschen: Die Betrachtung von Engelbert Dollfuß und seiner Ära sollte ausgewogen erfolgen. Ein Gastkommentar von Christoph H. Benedikter.

Seit geraumer Zeit ist Engelbert Dollfuß, Bundeskanzler von 1932 bis 1934, wieder Ausgangspunkt von medialen Diskursen. Engagierte des politisch linken Spektrums fordern die Tilgung seines Namens aus dem öffentlichen Raum. Argumentiert werden diese Wünsche mit einigen ausgesuchten Aspekten von Dollfuß’ politischem Agieren. Er sei der Zerstörer der Demokratie gewesen, habe auf Arbeiter schießen lassen und überdies mit den Nationalsozialisten verhandelt.

Nun sind alle diese Vorwürfe zwar zutreffend, dennoch bilden sie den Politiker Dollfuß ungenügend ab. Denn dieser setzte ab 1933 einen wirksamen Staatswiderstand gegen NS-Deutschland und die einheimischen Nationalsozialisten ins Werk. Weswegen er im Juli 1934 auch von NS-Putschisten erschossen wurde. Dass Dollfuß mit den von ihm bekämpften Nationalsozialisten dennoch auch zu verhandeln suchte, wird regelmäßig als besonderer Negativpunkt hervorgehoben. Andererseits, bis zum Münchener Abkommen 1938 hielten weite Teile der europäischen Eliten Verhandlungen mit Hitler für einen gangbaren Weg. Angesichts nationalsozialistischer Terrorwellen schienen 1933/34 Gespräche den Versuch wenigstens wert. Entscheidend bei der nachträglichen Bewertung sollte doch sein, dass es zu keiner Einigung kam, weil Dollfuß den NS-Forderungen eben nicht nachgab.

Was die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie ab März 1933 und die Niederschlagung des Aufstandes von Teilen des sozialdemokratischen Schutzbundes angeht, wäre es redlich, die längere Vorgeschichte nicht auszublenden. Denn die damalige Sozialdemokratie pflegte ihrerseits ein zweifelhaftes Demokratieverständnis. Wenn etwa ihr Parteivorsitzender Otto Bauer schrieb, dass ein „demokratisches Parlament … vielleicht den aktiven Widerstand der Bourgeoisie mit diktatorischen, vielleicht auch mit terroristischen Mitteln zu brechen haben“ werde, „sobald dieses Parlament zum Herrschaftsinstrument der Arbeiterklasse geworden sein wird“, erscheint es nachvollziehbar, dass im bürgerlichen Lager wenig Sehnsucht nach Demokratie im sozialdemokratischen Sinn bestand.

Debatte um Dollfuß-Platz: Wie Erinnerungskultur nicht funktioniert

Christoph H. Benedikter

Neue Perspektiven

Schon an diesen wenigen Beispielen zeigt sich, dass Dollfuß nur sinnvoll beurteilt werden kann, wenn alle Fakten berücksichtigt werden. Und auch eine weiterführende Forschung, die sich an neuen Fragestellungen orientiert, sollte in diese Beurteilung einfließen. So wäre es etwa lohnend, sich mit Dollfuß’ politischen Konzepten auseinanderzusetzen. Inwieweit sind sie als Versuch zu verstehen, Österreich durch die Transformation von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft eine neue, dezidiert österreichische Identität zu geben, die dem Land Resilienz verleihen sollte gegen die nationalsozialistische Bedrohung? Interessant wäre auch die Frage, inwieweit sich im heutigen Modell der Sozialpartnerschaft Ansätze finden, die sich auf Dollfuß’ berufsständisches Modell zurückführen lassen.

Erinnern statt Auslöschen

Anstatt sich solcher Aspekte der Dollfuß-Thematik anzunehmen, bleibt der öffentliche Diskurs auf die bekannten Themen eingegrenzt. So widmet sich ein Melker Gedenkverein jetzt dem „Dr. Dollfuß-Platz“ in Mank. Es werden ausgesuchte Experten aufgeboten (oder sie treten freiwillig auf), die erklären, warum es sich angesichts bestimmter Taten Dollfuß’ nicht ausgehe, dass der Platz seinen Namen behält. Was bei einer solchen Herangehensweise untergeht: Historische Persönlichkeiten sind grundsätzlich aus dem Kontext ihrer Zeit zu betrachten. An kontrovers zu deutende Politiker ausschließlich den Maßstab der Gegenwart anzulegen, bringt wenig Erkenntnisgewinn.

Im Sinne einer verantwortungsbewussten Gedenkkultur sollte nicht Auslöschung das Ziel sein, sondern die Darlegung der negativen ebenso wie der positiven Aspekte. Gerade die Zwischenkriegszeit ist eine Epoche, die sich durch Vielschichtigkeit und Komplexität auszeichnet. Sie kann als ferner Spiegel dienen, dessen Betrachtung uns davor bewahrt, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Ins Negative gewendet lassen sich aus diesem Spiegel jedoch genau jene Geister der Polarisierung „herausbeschwören“, die bereits die Erste Republik scheitern ließen.

Zum Autor:

Christoph H. Benedikter ist Historiker und sicherheitspolitischer Analyst. 2017 kuratierte er die Sonderausstellung über die Erste Republik am Haus der Geschichte NÖ.

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