Regierung ohne große Reformen: Prinzip Hoffnung ist zu wenig

Cabinet meeting in Vienna
Der angekündigte Neustart der Regierung ist misslungen, die Chance auf echte Veränderung wurde bisher versäumt. Ein Gastkommentar von Christian C. Pochtler.

Diese Bundesregierung ist in mehr als turbulenten Zeiten angetreten. Zu Beginn hieß es deshalb von vielen Seiten, dass genau diese Regierung daher zum Erfolg „gezwungen“ sei, es gehe um das eigene Überleben. Kein „weiter wie bisher“ wurde versprochen. Inzwischen muss man mit großer Ernüchterung feststellen: Der Neustart war ein Fehlstart. Der kleinste gemeinsame Nenner, das Bedienen der eigenen Klientel, kurzum, es geht leider doch weiter wie bisher.

Dabei hätte diese Regierung eine historische Chance: Am Anfang einer fünfjährigen Legislaturperiode, mit wenigen relevanten Wahlen, also genug Zeit für echtes Arbeiten, echte Reformen. Und in drei bis vier Jahren könnte man die Früchte struktureller Reformen auch bereits ernten. Und ich bin mir sicher: Die Bevölkerung würde diesen Weg mitgehen, die Menschen sehen ja, dass es so nicht weitergehen kann. Von der erhofften Aufbruchstimmung sind wir aber weit entfernt, das Vertrauen in die Politik sinkt weiter. Stellt sich die Frage: Warum? Ist der Leidensdruck noch immer nicht groß genug? Wohl die einzig mögliche Erklärung.

SOMMERFEST DER INDUSTRIELLENVEREINIGUNG WIEN: POCHTLER

Christian C. Pochtler

Aus Sicht der Industrie ist das erschreckend, denn seit Jahren warnen wir davor, dass die Deindustrialisierung unseres Landes voranschreitet, dass hochwertige, gut bezahlte Arbeitsplätze verschwinden, dass Investitionen zunehmend ins benachbarte EU-Ausland verlagert werden. Angesichts der mittlerweile katastrophalen Rahmenbedingungen stößt unser großer, unternehmerischer Patriotismus an seine Grenzen. Wenn man sich Treue zum Standort nicht mehr leisten kann, dann brennt der Hut. Viele Unternehmer stimmen weiter mit den Füßen ab.

Und die Regierung? Setzt auf das Prinzip Hoffnung: Es werde schon wieder mehr Wachstum kommen und damit auch eine Budgetkonsolidierung gelingen, weil man dann ja wieder mehr einnehme. Die Tatsache, dass wir seit ewigen Zeiten, trotz immer neuer Einnahmerekorde, mit dem Steuergeld kein Auslangen finden, wird nicht einmal erwähnt. Selbst das Versprechen kleinster Maßnahmen, wie etwa eine leichte Anhebung beim Pensionsalter, wird wieder zurückgenommen. Man will erst einmal beobachten und Berichte schreiben. Eine „Reformpartnerschaft“ wird groß verkündet, man klopft sich gegenseitig auf die Schultern – und ab Herbst gibt’s dann sicher Arbeitsgruppen. Vor 20 Jahren fand schon einmal ein groß angelegter Verfassungskonvent statt, mit vielen, bis ins Detail ausgearbeiteten Reformvorschlägen. Wir wissen, was damit passiert ist.

Als Unternehmer muss ich mit Realitäten kalkulieren. Hoffnung und Zukunftsversprechen reichen nicht. Insbesondere in Zeiten, in denen das Überleben, Stichwort Zölle, sowieso schwer genug ist. Muss ich also einfach zur Kenntnis nehmen, dass Österreich für Unternehmen nicht mehr attraktiv ist, und entsprechend handeln? Das kann nicht das Ende unserer Ambitionen sein! Anderenfalls wird der Leidensdruck für alle extrem steigen. Dann werden auch die vielen Reformverweigerer in der Politik, in den Gewerkschaften, in den Kammern und sonst wo schmerzlich erkennen müssen, dass die „Industriekuh“ zu Tode gemolken wurde, der allgemeine Wohlstand sinkt und auch die steuerfinanzierten Arbeitsplätze und Einkommen nicht mehr gesichert sind. Aber vielleicht muss es ja genau dazu kommen, damit mehr Menschen endlich aufwachen.

Zum Autor:

Christian C. Pochtler ist Unternehmer und Präsident der Industriellenvereinigung Wien.

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