Das EU-Boot ist voll

Vor einer Woche wurde an dieser Stelle Ehrlichkeit und gleichzeitig wohl auch Tempo bei einer kommenden EU-Erweiterung eingefordert. Immerhin würden ja einige Staaten schon eine halbe Ewigkeit auf die Aufnahme in die Europäische Union warten. Was Paul Schmidt von der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik in seinem Gastkommentar jedoch geflissentlich nicht gesagt hat: Rein realistisch betrachtet ist dafür kein Platz mehr in der EU. Das Brüsseler Boot ist voll.
Die EU ist weder organisatorisch noch inhaltlich dazu fähig, weitere Mitglieder aufzunehmen. In Brüssel wird im Kern noch immer mit den gleichen Instrumenten und den Regeln wie bei seiner Gründung gearbeitet und entschieden. Das mag für eine Gemeinschaft von sechs Staaten in Ordnung gewesen sein (und hat schon damals so manches Vorhaben zum Stocken gebracht). Dass das schon heute mit 27 Mitgliedern noch viel öfter an seine Grenzen stößt, kann jeder sehen und tagtäglich in Brüssel miterleben.
Und dabei geht es gar nicht nur um die in solchen Fällen immer als Allererstes angeführte Einstimmigkeit. Sie ist tatsächlich nur in Kernfragen der EU von Relevanz; und bei der heutzutage so im Mittelpunkt stehenden Außen- und Sicherheitspolitik. In allen anderen Politikfeldern, für die die EU bekannt (und teils auch berüchtigt) ist, herrschen längst schon nur noch Mehrheitsentscheidungen.
Es ist die schiere Zahl derer, die da am Entscheidungsprozess beteiligt sind, die den Kern des Problems darstellt. Das sprichwörtliche „viele Köche verderben den Brei“ bewahrheitet sich in der EU. Gleichzeitig ist aber diese Form des Interessensausgleichs bei einer Gemeinschaft von souveränen Staaten unausweichlich.
All die erwähnten Staaten, die aktuell eine EU-Mitgliedschaft anstreben bzw. ankündigen, eine solche Mitgliedschaft anzustreben, tun dies aus einer klaren Überlegung heraus und mit einem einzigen Ziel: Sie wollen ein Vollmitglied der EU sein. Nicht halb oder dreiviertel, es muss die volle, die ganze Mitgliedschaft sein. Man will quasi am Erwachsenentisch in Brüssel sitzen und mitentscheiden. Denn nur eine solche Vollmitgliedschaft bedeutet auch Sitz und Stimme in Rat, Abgeordnete im Europaparlament und insbesondere auch einen – symbolisch enorm wichtigen – „eigenen“ EU-Kommissar.

Stefan Brocza
Alles oder nichts
Nur diese Vollmitgliedschaft erlaubt es, die künftigen Weichenstellungen der EU mitzubestimmen. Auf diese Alles-oder-Nichts-Position haben sich die betreffenden Staaten festgelegt und sie sind von diesem Vorhaben auch nicht abzubringen.
Gleichzeitig sollte man sich auch offen eingestehen, dass die aktuell um Beitritt werbenden Staaten seit Jahr und Tag nicht fähig (oder willens) sind, die bestehenden und allseits bekannten EU-Aufnahmekriterien vollumfänglich zu erfüllen. Und schon nach der großen Osterweiterung der EU konnte man sehen, was es bedeutet, Staaten aus politischen Gründen aufzunehmen, ohne dass sie auch die dafür erforderlichen Bedingungen eigentlich erfüllen.
Wozu also noch das weitere, unnötige europapolitische Glasperlenspiel um eine möglichst rasche EU-Erweiterung? Die Spitze der politischen Fahnenstange ist erreicht. Weiter hinauf wird’s nicht mehr gehen.
Zum Autor:
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.
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