Bürokratiemonster vor Gericht
Während Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn seinen großen Tag hatte und Entbürokratisierungsmaßnahmen zur Entfesselung der Wirtschaft präsentierte – etwa dass Almdudler auf Almhütten auch in der 1,5 Liter Flasche ausgeschenkt werden darf – stand zeitgleich ein Bürokratiemonster der Sonderklasse letzten Mittwoch vor dem Verfassungsgerichtshof auf dem Prüfstand: Am 10. Juli beschloss der Nationalrat ein „Monitoringsystem der beim Großhandel gelagerten Arzneispezialitäten und Wirkstoffe“. Dieses verpflichtet fünf Arzneimittelgroßhändler dazu, ab Jahresbeginn täglich einen Wust an Zehntausenden Daten an gleich drei öffentliche Stellen – Gesundheitsministerium, Bundesagentur für Sicherheit im Gesundheitswesen und Dachverband der Sozialversicherungsträger – zu übermitteln. Kommen sie dem nicht nach oder unterläuft ihnen ein Fehler dabei, werden beim ersten Mal 25.000 Euro und beim zweiten Mal bereits 50.000 Euro Strafe fällig.
Gemeldet werden muss etwa der tägliche Lagerbestand aller (!) Produkte, geplante Zukäufe und Abgaben an Apotheken für die kommenden vier Wochen sowie monatliche Durchschnittswerte auf Jahresbasis. Was das an bürokratischem Aufwand bedeutet, wird schnell klar, wenn man sich vor Augen führt, dass es etwa rund 40.000 Arzneimittel und andere in Apotheken zu erwerbende Dinge gibt, die bei diesen Großhändlern lagen.
Stefan Brocza.
Datensammelwut
Begründet wird diese Datensammelwut damit, dass man nur so Lieferengpässen bei Medikamenten schneller auf die Spur kommen und von Seiten der Regierung schneller gegensteuern könne.
Warum das tagesaktuelle Wissen darüber, wie viel Schrundensalben oder auch Warzentinkturen bei Großhändlern lagern zum Schutz der Bevölkerung während Krisen wie etwa in der Corona-Zeit beitragen, das konnten die Vertreter der Bundesregierung – allen voran die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit Katharina Reich (vielen noch als ehemalige Vorsitzende der GECKO, der Kommission zur gesamtstaatlichen COVID-Krisenkoordination, in Erinnerung) dann aber doch nicht überzeugend erklären.
Warum Zehntausende nicht versorgungsrelevante Daten von ausgerechnet fünf Großhändlern eingefordert werden, blieb bei der VfGH-Verhandlung unbeantwortet. Denn immerhin gibt es in Österreich neben diesen fünf Großhändlern weitere 400 Großhändler, 100 Händler, 1.400 Apotheken und 900 Hausapotheken bei Ärzten und all diese lagern ebenfalls Medikamente.
Was das SPÖ-geführte Gesundheitsministerium mit diesem Datenfriedhof vorhat und wie man damit sicherstellt, dass im Krisenfall auch nur eine einzige zusätzliche Arzneimittelpackung nach Österreich kommt, konnte Sektionschefin Reich den Verfassungsrichtern jedenfalls auch nicht erklären. Sie verwies auf beratende Kommissionen, die sich dieser Daten im Fall der Fälle annehmen würden.
Dass diese überbordende Datensammelwut wohl nicht im Einklang mit unserer Verfassung steht, wurde rasch klar an diesem Mittwoch. Bleibt zu hoffen, dass auch die Verfassungsrichter diesem Bürokratiemonster par excellence einen Riegel vorschieben.
Zum Autor:
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.
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