Arbeitsmarkt: Weniger Lohn ist keine Antwort

Eine Person arbeitet auf einer Baustelle neben einem Kran, im Vordergrund sind Straßenlaternen zu sehen.
Bitte nicht ablenken lassen: Billigere Arbeitskräfte bringen uns nicht weiter, sondern wertvollere Arbeit. Ein Gastkommentar von Helmut Kosa.

Es ist ein Ritual, das so verlässlich wiederkehrt, wie der Radetzkymarsch beim Neujahrskonzert: Ein Bankenanalyst – diesmal Gunter Deuber der RBI – spielt die Karte des Lohnblaming und warnt in der ZIB2 vor Standort-gefährdenden „überproportionalen Lohnsteigerungen„. Klingt vertraut nah, an den bisher bemühten Erzählungen der Serie: Verdienen die Österreicher zu viel? Arbeiten Teilzeitkräfte zu wenig? Nur Arbeitnehmerlöhne als Ursache der längsten Rezession der Zweiten Republik auszumachen, ist eine Nebelgranate, die von den eigentlichen Problemen ablenkt.

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Helmut Kosa.

2022 explodierten die Preise – nicht wegen der Löhne, sondern wegen der Gewinne. Die ÖNB dokumentierte es akribisch: Im ersten Quartal 2023 erklärten Unternehmensmargen 40 % der Inflation, Löhne nur 25 %. Eine Gierflation, wie sie im Lehrbuch steht. Während andere Länder gegensteuerten, tat Österreich das Gegenteil und verteilte mit der Gießkanne: Boni, Strombremsen, COFAG-Milliarden. So schoss das Preisniveau um 23 Prozent nach oben, während es im Euroraum bei 19 %, in Finnland bei 14 % blieb. Die staatlich angeheizte Nachfrage trieb die Inflation, die Inflation erzwang Lohnrunden von bis zu 10 %. Die Gierflation von gestern ist die Kostenkrise von heute.

Hohe Löhne sind in einer produktiven Wirtschaft kein Problem – Deutschland, Schweiz, Skandinavien beweisen es täglich. Österreich aber leistet sich Premium-Preise für ein Produkt, das zunehmend Mittelmaß wird. Die Produktivität fällt seit 2022 um 2 %. Die Abhängigkeit von der deutschen Autoindustrie wird zur existenziellen Bedrohung.

Österreich leidet an fehlender Markenrelevanz. Wir haben keine klare Positionierung mehr. Die geografische Lage? Reicht nicht. Lebensqualität? Kein Geschäftsmodell. Der Witz ist: Österreich diskutiert Lohnzurückhaltung, als könnte man sich damit gesundsparen. Das Gegenteil ist richtig. Wer die Löhne drückt, ohne die Produktivität zu heben, landet in der Abwärtsspirale. Die Lösung liegt nicht in billigeren Arbeitskräften, sondern in wertvollerer Arbeit.

Die Frage ist nicht, ob österreichische Löhne zu hoch sind. Sie lautet: Wofür will Österreichs Wirtschaftsstandort also zukünftig stehen? Diese strategische Positionierungsfrage können weder Politik noch Wirtschaft allein beantworten. Andere Länder haben ihre Antwort längst im Schulterschluss gefunden: Finnland digitalisierte radikal, Dänemark investierte in Windkraft, bis Strom zum Exportgut wurde, die Schweiz positioniert sich als Innovationshub.

Österreich braucht jetzt genau diese gemeinsame Kraftanstrengung. Politik muss Rahmenbedingungen schaffen – Bürokratieabbau, wettbewerbsfähige Energiepreise, Investitionen in digitale Infrastruktur. Wirtschaft muss in Produktivität, KI und Innovation investieren statt auf Lohnkürzungen zu setzen. Nur gemeinsam können wir Standortqualität sichern und eine scharfe Positionierung entwickeln, die wieder Wachstumsperspektiven eröffnet. Sonst wird aus der Werkbank ein Freilichtmuseum – mit Eintrittspreisen, die sich bald niemand mehr leisten will.

Zum Autor:

Helmut Kosa ist Managing Partner der Wachstumsberatung &US.

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