Antisemitismus seit 7. Oktober: Für eine gute Eintragung in das Buch des Lebens

Orthodox Jewish pilgrims celebrate Rosh Hashanah in Uman, Ukraine
Die hohen jüdischen Feiertage und der 7. Oktober 2023. Ein Gastkommentar von Arno Tausch.

Jüdische Menschen auf der ganzen Welt begehen derzeit die „hohen Feiertage“ zu Beginn des jüdischen Jahres 5786, die sich nach dem jeweils wechselnden Datum des jüdischen Kalenders richten. Während dieser Feiertage wünschen sie einander und der Welt: „Möge deine Eintragung in das Buch des Lebens gut abgeschlossen werden.“

Leider haben die Feinde Israels diese heiligen Tage bereits zweimal durch ihre Angriffe auf den jüdischen Staat entweiht: einmal während des Jom-Kippur-Kriegs im Jahr 1973 und genau fünfzig Jahre später, am 7. Oktober 2023, als die Hamas ihr beispielloses Pogrom verübte. In jenem Jahr wäre an diesem Tag das Freudenfest der Tora gefeiert geworden.

Die Heiligkeit dieser Tage fasziniert seit jeher auch Menschen, die nicht dem Judentum angehören. Das ergreifende Kol Nidre Gebet, das oft vertont wurde, besagt, dass nichts die Treue des Volkes Israel zum Schöpfer zerstören kann.

Ein älterer Mann mit Schirmmütze blickt in die Kamera.

Arno Tausch

Weckruf

Der Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Österreichs, Yaron Engelmayer, und zahlreiche andere jüdische und nichtjüdische Persönlichkeiten stellten in einem besorgten Weckruf fest, dass Radikalisierung, Antisemitismus und Antizionismus nicht nur das jüdische Leben und die Existenz des Staates Israel bedrohen, sondern auch die Grundwerte unserer demokratisch-liberalen Gesellschaften und der westlichen Wertegemeinschaft. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass berechtigte Kritik an der Regierung in Israel nicht zu Hass gegen Juden, Sanktionen und Ausgrenzung im kulturellen, wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Leben führen darf. Hier kann ich als Gesellschaftswissenschaftler und engagierter Sozialkatholik, für den die Konzilserklärung „Nostra Aetate“ seit fünf Jahrzehnten einen der wichtigsten Bezugspunkte des Lebens darstellt, nicht neutral bleiben.

Geistiges Klima

Wenn nun unlängst zum Saisonstart im Wiener Musikverein ein Konzert mit dem israelischen Dirigenten Lahav Shani durch „Free Gaza“-Rufe unterbrochen wurde, so ist das nur symbolisch für das geistige Klima, das sich heute in den Ländern der freien Welt ausbreitet. Der sozialdemokratische spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sagte dazu sogar: „Wie Sie wissen, verfügt Spanien weder über Atombomben noch über Flugzeugträger oder große Ölreserven. Wir allein können die israelische Offensive nicht aufhalten, aber das bedeutet nicht, dass wir aufhören werden, es zu versuchen, denn es gibt Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt, auch wenn es nicht allein in unserer Hand liegt, sie zu gewinnen.“

Trotz der Tatsache, dass zahlreiche Persönlichkeiten verschiedener politischer Parteien in Österreich den Aufruf zur Solidarität mit Israel bereits unterzeichnet haben, ist das Schweigen der Vertreter der übrigen in Österreich anerkannten Religionsgemeinschaften sowie der Vertreter der Sozial- und Geisteswissenschaften ohrenbetäubend.

Pedro Sánchez ist für manche Teile der politischen Linke sogar eine Art Superstar. Er hat die Geschichte des Antisemitismus in Spanien offensichtlich vergessen: vom dritten Konzil von Toledo im Jahr 589 mit seinem Berufsverbot für Juden über die entsetzlichen Pogrome im 14. Jahrhundert bis zur Vertreibung der sefardischen Juden aus dem spanischen Königreich im Jahr 1492.

Kein Mitgefühl

Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz hat vollkommen richtig festgestellt, dass seit dem Hamas-Pogrom am 7. Oktober 2023 in großen Teilen der Welt, insbesondere unter Intellektuellen im Kultur- und Universitätsbetrieb, ein ausbleibendes Mitgefühl gegenüber den Opfern, ein pikiertes Schweigen und da und dort sogar ein Triumphgeheul über die Kommandoaktion der Hamas-Terroristen festzustellen ist. Ihre Worte sollten insbesondere auch von den Vertretern unserer Religionsgemeinschaften beherzigt werden. Sie sollten den Solidaritätsaufruf als Gabe zu den Hohen Feiertagen für die Jüdinnen und Juden in Österreich noch einmal genau lesen und unterschreiben.

Mögen unsere Eintragungen in das Buch des Lebens gut abgeschlossen werden.

Zum Autor:

Arno Tausch ist ein österreichischer Politikwissenschafter. Seit Mai 2022 ist er Gastprofessor in Südafrika.

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