30 Jahre nach Srebrenica: Leugnung als Teil des Systems

Am Freitag, dem 11. Juli, fand in Srebrenica die Beerdigung von sieben weiteren Opfern des im Juli 1995 verübten Völkermords statt. Noch immer gelten mehr als 1.000 Opfer aus dieser Umgebung als vermisst. Die Beerdigung wurde – wie in den Jahren zuvor – in würdevoller Weise unter der Teilnahme politischer und religiöser Vertreterinnen und Vertreter aus Bosnien und Herzegowina, der Region sowie der internationalen Gemeinschaft abgehalten. Vertreter der führenden politischen Strukturen aus der Entität Republika Srpska (RS) und aus Serbien blieben der Gedenkveranstaltung auch in diesem Jahr fern.
Diese Abwesenheit steht exemplarisch für die weiterhin bestehende institutionelle Leugnung des Völkermords. Trotz rechtskräftiger Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), des Internationalen Gerichtshofs (IGH) sowie nationaler Gerichte wird das in Srebrenica begangene Verbrechen nicht anerkannt. Selbst die im Mai 2024 verabschiedete Resolution der Vereinten Nationen, in der der Völkermord ausdrücklich festgestellt wird, wird von politischen Akteuren in der RS und Serbien nicht als Grundlage für eine Anerkennung akzeptiert. Diese Haltung stellt ein zentrales Hindernis für langfristige Friedensprozesse und gesellschaftliche Versöhnung im westlichen Balkan dar. Das offizielle Narrativ in der RS und in Serbien bleibt – trotz zunehmender internationaler Kritik – weitgehend unverändert. Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass nur wenige Monate nach Verabschiedung der UN-Resolution die RS neue Schulbücher für das Fach Geschichte herausgab, in denen die Verbrechen – insbesondere jene an der bosniakischen Bevölkerung zwischen 1992 und 1995 – systematisch verschwiegen oder relativiert werden. Darüber hinaus werden wegen Völkermord verurteilte Täter wie Radovan Karadžić und Ratko Mladić als nationale Helden dargestellt.

Jasmin Medić
Geständnisse
In der öffentlichen Diskussion wird häufig übersehen, dass es mehrere rechtskräftige Urteile vor dem ICTY gibt, in denen Angehörige der Armee der Republika Srpska (VRS) ihre Schuld am Völkermord und andere Kriegsverbrechen in Srebrenica ausdrücklich eingestanden haben. Drei Angeklagte bekannten sich im Laufe des Verfahrens schuldig, ein weiterer legte ein Geständnis nach Verkündung seines Urteils ab. Ein besonders prägnantes Beispiel ist Dražen Erdemović, ein Angehöriger der 10. Sabotageeinheit der VRS. Bereits 1996 gestand er vor dem ICTY seine Beteiligung an den Massenmorden von Srebrenica. Er wurde zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und trat in weiteren Verfahren als Belastungszeuge auf. Von besonderem Gewicht sind seine Aussagen über die Ereignisse im Kulturhaus „Pilica“, wo innerhalb weniger Stunden über 500 Zivilisten ermordet wurden.
Im Jahr 2003 gestand auch Momir Nikolić, Sicherheitsbeauftragter der Bratunac-Brigade der VRS, seine Schuld: „Ich habe die Entscheidung selbst getroffen, vor dieses ehrenwerte Gericht zu treten und zu gestehen, dass in Srebrenica ein Verbrechen geschehen ist, an dem ich beteiligt war. Ich erwarte dafür eine gerechte Strafe. Ich möchte mein tiefes und aufrichtiges Bedauern und meine Reue ausdrücken und mich bei den Opfern, ihren Familien und dem bosniakischen Volk für meine Beteiligung entschuldigen.“ Nikolić wurde zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Aussagen lieferten wertvolle Informationen über die Befehlsstrukturen sowie über konkrete Tatorte der geplanten Exekutionen.
Ebenfalls 2003 legte Dragan Obrenović, stellvertretender Kommandant der Zvornik-Brigade der VRS, ein Schuldbekenntnis ab. Er erklärte: „Ein Gedanke lässt mich nicht los – die Schuld. Ich bin schuldig für alles, was ich damals getan habe. Tausende unschuldiger Opfer sind gestorben. Zurück blieben Gräber, Flüchtlinge und allgemeines Leid. Einen Teil der Verantwortung dafür trage ich.“ Obrenović wurde zu 17 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Auch er trat in späteren Verfahren als Belastungszeuge auf und lieferte detaillierte Aussagen zu den Massenexekutionen im Raum Zvornik.
Obwohl Radislav Krstić, ehemaliger Stabschef des Drina-Korps der VRS, im Gerichtsverfahren kein Geständnis ablegte, erkannte er später – im Rahmen eines Antrags auf vorzeitige Haftentlassung – seine Mitverantwortung am Völkermord an. In einem Schreiben äußerte er den Wunsch, sich in Potočari vor den Opfern zu verneigen und um Vergebung zu bitten – sofern dies von den Angehörigen akzeptiert werde.
Unwiderlegbarer Beweis
Diese Schuldbekenntnisse könnten – zumindest theoretisch – eine zentrale Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der RS und Serbien darstellen. Bis heute ist dies jedoch nicht der Fall. Aus historischer Perspektive stellen die Geständnisse, unabhängig von der Motivation der Täter, einen unwiderlegbaren Beweis für die begangenen Verbrechen dar. Sie liefern zudem ein starkes Argument gegen jede Form der Leugnung des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie weiterer Kriegsverbrechen. Gerade deshalb wird in der RS und in Serbien kaum öffentlich über diese Geständnisse gesprochen. Wie kann man von einer Politik, die den Völkermord und andere Kriegsverbrechen systematisch leugnet, finanzielle und institutionelle Unterstützung für eine offene Aufarbeitung erwarten – insbesondere wenn diejenigen, die über serbische Kriegsverbrechen sprechen, öffentlich als Verräter diffamiert werden? Solche Geständnisse erschüttern die Fundamente nationalistischer Mythen und widersprechen dem dominierenden Selbstbild dieser Gesellschaften.
Dennoch: Nicht nur die Geständnisse, auch die Zeugenaussagen dieser Täter sind für die historische Rekonstruktion der Ereignisse unverzichtbar. Sie tragen wesentlich dazu bei, die Wahrheit über den Völkermord von Srebrenica zu dokumentieren – und bilden damit eine unverzichtbare Grundlage für Erinnerung, Gerechtigkeit und mögliche Versöhnung.
Zum Autor:
Jasmin Medić lehrt Neuere Geschichte an der Universität Sarajevo. Forscht und publiziert zu Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Kommentare