Wien-Wahl: Politik vergisst auf die EU-Bürger - Anfechtung möglich

Am Sonntag, 27. April, sind rund 265.000 EU-BürgerInnen (die nicht österreichische Staatsbürger sind) bei den Wiener Bezirksvertretungswahlen wahlberechtigt. Das sind immerhin fast 20 Prozent der Wahlberechtigten. In einzelnen innenstädtischen Bezirken (7., 8. oder 9.) liegt ihr Anteil bereits klar über 20 Prozent. Seit 2001 – den ersten Wiener Wahlen, bei denen hier lebende EU-Bürger auch wählen durften – hat sich ihr Anteil fast verzehnfacht. Er wächst von Wahl zu Wahl, während der Anteil der österreichischen Staatsbürger, die wählen dürfen, abnimmt.

Stefan Brocza
Erstaunlicherweise wird dieser immer größer werdenden Wählergruppe kein besonderes Augenmerk geschenkt, obwohl sie ein attraktives Wählerpotenzial sind. Insbesondere, da ihre Wahlbeteiligung viel niedriger ist (zuletzt nur rund 20 % – im Vergleich zu 65 % bei ÖsterreicherInnen). Offenbar besteht jedoch kein großes Interesse bei den Parteien, in diesem Reservoir wahlzuwerben. Das könnte auch damit zu tun haben, dass EU-Bürger deutlich anders wählen. Ginge es nämlich nur nach den EU-Stimmen, wären die Grünen jedes Mal klarer Sieger bei den Bezirksvertretungswahlen gewesen. 2001 mit fast 50 % der Stimmen, 2020 mit noch immerhin fast 37 %. Abgeschlagen auf Platz zwei wäre die SPÖ mit klar unter 30 %. Neos schaffen mit über 8 % bei den EU-Stimmen ein besseres Ergebnis als bei österreichischen Stimmen. Die ÖVP – in den ersten Jahren der EU-Mitgliedschaft noch mit einem ausgewogenen Wähleranteil – wurde zuletzt von EU-Bürgern nur noch halb so oft gewählt (11 %). Klarer Wahlverlierer bei den EU-Stimmen ist die FPÖ. Zuletzt haben sie weniger als 4 % der in Wien lebenden EU-BürgerInnen gewählt.
Was die steigende Zahl von nicht-österreichischen Wahlberechtigten bei Gemeindewahlen angeht, so sieht die EU-Kommunalwahl-Richtlinie übrigens den kritischen Grenzwert bei 20 %. Wird dieser überschritten, könne ein EU-Mitgliedsland das Wahlrecht für EU-Bürger einschränken (längere Aufenthaltsdauer, bis hin zu einem Quotensystem bei Kandidaten). Obwohl in manchen Wiener Bezirken (wie in einzelnen Tiroler Gemeinden) dieser Grenzwert überschritten ist, hat Österreich von dieser Möglichkeit bisher nicht Gebrauch gemacht. Lediglich in Luxemburg und einzelnen belgischen Gemeinden ist das Wahlrecht derart eingeschränkt.
Eine Besonderheit der Wiener Wahlordnung könnte dem bisher langweiligen Wahlkampf nachträglich übrigens noch Dynamik verschaffen: Da EU-Bürger mit einem andersfarbigen (gelben) Kuvert wählen müssen und ihre Stimmen getrennt ausgezählt und veröffentlicht werden, stehen die Chancen für eine Wahlanfechtung gar nicht schlecht. Gemäß EuGH-Rechtsprechung müssen EU-Bürger bei der Teilnahme an Kommunalwahlen absolut gleich wie Inländer behandelt werden. Und das werden sie aktuell eben nicht.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen. In Kürze erscheint seine Langzeitstudie „EU-Bürger wählen anders“
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