Warnung vor EU-Defizitverfahren war ein Sturm im Wasserglas

Die Katastrophe ist also noch einmal abgewendet, das vor der Tür stehende EU-Defizitverfahren findet also nicht statt.
Das ganze Land hat die letzten Wochen gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange nach Brüssel geblickt. Zuerst, weil man auf ominöse „Budgetzahlen aus Brüssel“ warten musste, damit man das eigene Budgetdefizit überhaupt einschätzen könne. Als ob man in der Wiener Himmelpfortgasse – dem Sitz des Finanzministeriums – nicht selber wüsste, wie viel man einnimmt und ausgibt und ob sich das mit den ominösen EU-Konvergenzkriterien überhaupt noch vereinbaren lässt. Im Mittelpunkt des Dramas stand der seit Jahren verantwortliche Sektionschef Gunter Mayr, der kurz darauf als Interimsfinanzminister angelobt wurde. Es wird doch keine Belohnung für Unwissenheit gewesen sein?

Stefan Brocza
Die an den Tag gelegte Unfähigkeit wurde dabei von Österreichs Medienlandschaft gekonnt begleitet. An Hysterie nicht zu überbieten wurden Schreckensszenarien entwickelt und der Politerklärbär der Nation – der für seine knackigen Formulierungen bekannte Peter Filzmaier – verkündete zur besten Sendezeit im ORF „milliardenschwere Strafzahlungen“, die da drohen würden, wenn man die Vorgaben aus Brüssel nicht ruckzuck befolgen würde. Dass dies vollkommen aus der Luft gegriffen war, interessierte da schon lange keinen mehr.
Vernünftige Stimmen, die den tatsächlichen Ablauf eines solchen EU-Verfahrens wegen übermäßigen Budgetdefizits zu erklären versuchten, hatten keine Chance, in der plötzlich einsetzenden Kakophonie noch irgendwie gehört zu werden. Dabei hätte man nur einfach nachlesen müssen: Schon Mitte des Vorjahres finden sich EU-Erklärungen, dass man angesichts der österreichischen Wahlen Ende September natürlich auf die erst zu bildende neue Regierung warten würde, um die übliche jährliche Einschätzung abzugeben. Deshalb findet sich in den EU-Datenbanken auch keinerlei Entwurf zu einem möglichen Defizitverfahren. Oder noch einfacher: Man hätte sich einfach die seit Wochen einsehbare Tagesordnung für den kommenden EcoFin-Rat der EU ansehen können: Weit und breit kein entsprechender Tagesordnungspunkt zu Österreich und seinem Budget. Stattdessen wurde von Politik und Medien lieber das Mantra vom 21. Jänner verbreitet: Vom Tag, an dem sich alles entscheidet.
Nun ist also alles anders. Herbert Kickl und Christian Stocker haben einen Brief geschrieben, der schon erwähnte Finanzminister hat eine schmale Tabelle mit ein paar geplanten Einsparungen in Brüssel vorgelegt und schon ist alles wie von Zauberhand abgewendet. Was für eine Ironie, was für eine Polit-Farce. Eigentlich müsste man umgehend einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, um all den Unsinn, der da in den letzten Wochen über die EU und ihr angebliches Defizitverfahren verbreitet wurde, aufzuarbeiten.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.
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