Vučić und Srebrenica: Kampagne auf dem Rücken der Opfer

Vučić und Srebrenica: Kampagne auf dem Rücken der Opfer
Der Auftritt Vučićs bei der UNO war ein Bärendienst für die serbische Nation. Ein Gastkommentar von Manfred Dauster und Alexander Rhotert.

Der Auftritt von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) anlässlich der Völkermord-Resolution zu Srebrenica am 23. Mai hätte theatralischer kaum sein können. Nach Annahme der Resolution hüllte sich Vučić in eine serbische Flagge, stellte die serbische Nation als Opfer und sich als heroischen Kämpfer gegen dunkle Mächte dar, deren Ziel es sei, das serbische Volk als völkermordendes zu stigmatisieren: „Sie wollten uns ein Zeichen auf die Stirn setzen. Und ich bin stolz darauf, dass ich heute die Chance hatte, das Recht eines kleinen Landes zu verteidigen.“

Deutschland stand auf der Liste dieser „Mächte“ ganz oben. Vučićs Darstellung ist allerdings widersprüchlich, denn weder Serbien, die serbische Regierung noch das serbische Volk werden namentlich erwähnt. Im Gegenteil, die Schuldfrage wird ausdrücklich individualisiert. Deutschlands Absicht war keineswegs „die Serben“ zu stigmatisieren, sondern den Opfern eine Stimme zu geben, wie es UN-Botschafterin Antje Leendertse formulierte: Es gehe „darum, das Andenken der Opfer zu ehren und die Überlebenden zu unterstützen, die weiterhin mit den Narben dieser schicksalhaften Zeit leben müssen.“

Vučić und Srebrenica: Kampagne auf dem Rücken der Opfer

Manfred Dauster und Alexander Rhotert

Serbien behauptet, nichts mit dem von der bosnisch-serbischen Armee (VRS) verübten Völkermord zu tun gehabt zu haben. Warum aber verteidigt sich Vučić gegen etwas so vehement, was Serbien gar nicht zur Last gelegt wird? Der Elefant im Raum ist einerseits die damalige logistische Unterstützung Serbiens an die VRS, ohne die diese binnen Wochen kollabiert wäre. Anderseits gab es nach offiziellem Abzug der serbisch dominierten Jugoslawischen Volksarmee immer wieder von Belgrad entsandte Einheiten, die in Bosnien mordeten. Mit einem 2005 aufgetauchten Video, dass die Exekution sechs Jugendlicher aus Srebrenica durch Angehörige der „Skorpion“-Einheit des serbischen Innenministeriums zeigt, konnte dies bewiesen werden. Die gezeigten „Skorpione“ wurden in Belgrad zu langen Haftstrafen verurteilt. Kurioserweise sagte der bosnische Serbenführer und engste Verbündete Vučićs, Milorad Dodik 2008 noch: „Ich weiß genau, was passiert ist: Völkermord in Srebrenica. Das war das Urteil des Haager Tribunals, und das ist eine unbestreitbare rechtliche Tatsache.“

Belgrad konnte sich trotz intensiver Lobbyarbeit nur die Unterstützung von 18 Staaten sichern, die gegen die mit großer Mehrheit angenommene Resolution stimmten, unter ihnen Russland, China, Belarus, Syrien und Nordkorea. Es ist bekannt, dass Belgrad längst Teil der Achse Moskau-Minsk ist. Dies wird die EU-Kommission ebenso zur Kenntnis nehmen wie die Tatsache, dass Ungarn als einziges EU-Land dagegen votierte. EU-intern ist die Rolle des ungarischen Erweiterungskommissars Olivér Várhelyis problematisch. Bei seinem kürzlichen Besuch in Belgrad adaptierte er Vučićs Sichtweise und warnte davor, das serbische Volk kollektiv für Srebrenica verantwortlich zu machen, was niemand tut, da die „strafrechtliche Verantwortlichkeit“ expressis verbis einzelnen Tätern zugeschrieben wird. Vielleicht führte Várhelyi, ein Vertrauter Viktor Orbáns, auch nur Weisungen aus. Orbán macht kein Hehl aus seinem Ziel, eine Achse Budapest, Belgrad und Dodiks Hochburg Banja Luka zu schmieden. Belgrads Kampagne auf dem Rücken der Opfer ist für die serbische Nation schädlich. Solange sich serbische Führungen nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen, wird Srebrenica wie ein Mühlstein um ihre Hälse hängen. Fast 29 Jahre nach dem Horror ist die Diskussion um Verantwortung nicht am Ende angelangt, sondern sie beginnt gerade.

Die serbische Jugendinitiative für Menschenrechte erklärte in einem Brief, dass Vučićs aggressive Kampagne nicht im Interesse des serbischen Volkes sei. Obwohl kritische junge Menschen von der Regierung verfolgt würden, hätten sie sich „entschieden nicht zu schweigen: Im Namen vieler, die … Angst haben, ihre Stimme zu erheben, das durch die unverantwortliche Kampagne über die Resolution zu Srebrenica unter der Leitung des höchsten serbischen Staatsbeamten geschaffen wurde, glauben wir, dass es unsere menschliche Pflicht ist, zu sagen: Nicht in unserem Namen.“

Manfred Dauster leitete unter HR Wolfgang Petritsch die Abteilung Anti Crime and Corruption in Bosnien-Herzegowina und war Höchstrichter. 
Alexander Rhotert ist Politikwissenschaftler und war an der Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton beteiligt.

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