Reif fürs weitere Leben

Um endlich im 21. Jahrhundert anzukommen, soll die Matura abgeschafft werden und die Gesamtschule gänzlich ohne Noten auskommen. An die Stelle der klassischen Beurteilung sollen künftig praxisorientierte, längerfristige Projektarbeiten treten. Hintergrund der Reformvorschläge der Wiener SPÖ ist die Ambition, die Schüler bestmöglich und ohne Leistungsdruck auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten. Eine bedarfsorientierte und zukunftssichere Ausbildung zu gewährleisten, hat tatsächlich höchste Priorität. Diese Überlegungen werden aber nicht zum Ziel führen.
Schüler werden im Verlauf ihres Lebens immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen sie ihr Wissen oder ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen und ihre erbrachten Leistungen beurteilt werden. Die in Österreich seit 2008 weitgehend vereinheitlichte Abschlussprüfung ist das entscheidende Instrument am Ende der Schulkarriere, um zu überprüfen, ob ein Schüler den erwarteten Leistungsstandard erfüllen kann. Durch die Gesamtmatura wird zudem die immer wieder debattierte Gefahr von Beurteilungswillkür gebannt.
Für die meisten Schüler ist es tatsächlich das erste Mal, dass sie mit einer größeren Prüfungssituation umgehen müssen. Ein gewisser Leistungsdruck ist daher nicht unüblich. Statt diesen von vornherein zu verteufeln und vermeiden zu wollen, sollte es als positiver Nervenkitzel, als Chance, aus der Erfahrung zu lernen und in Zukunft besser mit Stress umzugehen, gesehen werden.
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Die Matura fungiert also in vielerlei Hinsicht als wichtiges und vor allem vergleichbares Qualitätskriterium. Mit Recht können die Absolventen sagen „jetzt bin ich reif“. Reif nämlich nicht nur für ein folgendes Studium. Auch für jene, die direkt in den Berufsalltag einsteigen, ist die Matura, der erste offizielle „Fähigkeitsnachweis“, oft ein wichtiges Sprungbrett.
Trotzdem ist eine Beibehaltung des Status quo nicht länger vertretbar. Die erforderlichen Reformen sollten jedoch an einem grundlegenden Punkt ansetzen. Eine verstärkte Kooperation zwischen Schulen, Instituten und der Wirtschaft könnte zu einer praxisorientierteren Gestaltung des Unterrichts führen. Dies würde nicht nur den Schülern selbst, sondern auch ihren zukünftigen Arbeitgebern nachhaltige Vorteile bringen.
Anstatt sich mit neuen Fächern oder fragwürdigen Reformen zur Erfüllung der „21st century skills“ auseinanderzusetzen, sollte die Integration der geforderten Fähigkeiten fächerübergreifend im Unterricht erfolgen. Die durch die Digitalisierung entstandenen Möglichkeiten sollten nicht als Bedrohung betrachtet, sondern gelehrt und genutzt werden. Es geht vor allem darum, mit der Zeit Schritt zu halten und das Bildungssystem kontinuierlich anzupassen. Im besten Fall könnte dies die Notwendigkeit grundlegender Reformen vermeiden.
Carmen Treml ist Ökonomin beim wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria.
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