Kopflose Moral konterkariert nachhaltige Industriepolitik in Europa

Ursula von der Leyen setzt den Kompass auf Wettbewerbsfähigkeit und Verschlankung
Die EU-Lieferkettenrichtlinie gefährdet den Standort und erreicht das Gegenteil: Eine Stärkung autoritärer Systeme. Ein Gastkommentar von Hans Harrer.

Die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) wurde 2024 mit hehren Absichten beschlossen: faire Arbeitsbedingungen, weniger Umweltzerstörung, mehr Menschenwürde. In der Realität wird sie zum Brandbeschleuniger für genau jene Missstände, die sie kurieren wollte. Während europäische Unternehmen mit einer Flut von Formularen, Prüfpflichten und unkalkulierbaren Haftungsrisiken und somit höheren Kosten ringend sich mitunter zurückziehen, übernehmen längst Konzerne aus Drittstaaten die frei werdenden Marktanteile. Sie müssen weder Nachhaltigkeitsberichte schreiben noch Kinderarbeit ausschließen, erfreuen sich jedoch über weniger bzw. wesentlich teurerer Konkurrenz. Außerdem enthebt sie die politischen Machthaber Ihrer Verantwortung gegenüber Land und Mensch.

Kopflose Moral konterkariert nachhaltige Industriepolitik in Europa

Hans Harrer

Besonders hart trifft es die kleinen und mittleren Unternehmen, das Rückgrat unseres Wohlstands. Wer in einer global verzweigten Wertschöpfungskette jede Näherei, jede Gießerei oder Mine in Entwicklungs- und Schwellenländern lückenlos kontrollieren soll, muss ganze Stäbe von Juristen und Auditoren bezahlen. Für Konzerne aus weniger verantwortungsvoll agierenden Ländern ist das ein Geschenk: Sie kaufen sich einfach dort ein und kassieren, wo europäische Wettbewerber kapitulieren. Die Folge? Deindustrialisierung in Europa, Abhängigkeit von skrupellosen Wirtschaftsmächten – und ein Klima- und Menschenrechtsschaden, der auf keiner Brüsseler Excel-Tabelle auftaucht.

Die Anfang 2025 beschlossene Omnibus-Verordnung mag Fristen strecken und Prüfintervalle verlängern, sie ist aber nichts als Aspirin für ein offenes Bein. Wer glaubt, mit bürokratischer Selbstgeißelung das Weltklima zu retten, irrt doppelt: Er ruiniert zuerst den Standort Europa und überlässt das Feld anschließend Akteuren ohne jeden Umwelt- oder Sozialstandard.

Komplett streichen

Eine Kurskorrektur ist nötig: Die CSDDD sollte ersatzlos gestrichen werden – weder ein Reförmchen, noch ein Gold Platin bringt uns weiter, sondern ein konsequenter Ausstieg aus diesem ökonomischen, ökologischen und sozialen Harakiri.

Es sollten Bilateral- und Multilateralabkommen auf Augenhöhe geschlossen werden. Handel ist der stärkste Hebel für Entwicklung, aber nur, wenn er von realistischen Regeln statt ideologischer Hybris geprägt ist.

Entbürokratisierung und Investitionsanreize sind gefragt – vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die Innovation vorantreiben. Nur eine starke europäische Industrie kann Werte exportieren. Europa muss sich entscheiden: Wollen wir Produzent, Innovator und strategischer Partner bleiben – oder moralisch lupenreiner Zuschauer eines Spiels, das andere gewonnen haben?

Mein Appell an die politisch Verantwortlichen: Kehren Sie zurück zu einer handelspolitischen Vernunft, die Entwicklung nicht behindert, sondern ermöglicht. Nur so schützen wir Arbeitsplätze, sichern unsere Wettbewerbsfähigkeit und wahren letztlich die Menschenrechte, wo sie dringendst gebraucht werden.

Zum Autor:

Hans Harrer ist Vorstandsvorsitzender des Senats der Wirtschaft

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