Für eine wehrhafte Demokratie

Vor dem Parlament wacht Pallas Athene, Göttin der Weisheit, aber auch des Krieges und des Friedens
Die westlichen Demokratien sind in den letzten 20 Jahren hart in Bedrängnis gekommen, ohne dass sie es rechtzeitig bemerkt haben. Denn in den 80 Jahren der Friedenszeit nach dem letzten Krieg in Europa haben die meisten Zeitgenossen gar nicht gesehen, welche Bedrohungen für liberale Gesellschaften entstanden sind. Kritiker haben von schläfrigen Demokratien gesprochen, deren Bewohner gar nicht mehr bereit sind, sich selber zu verteidigen. Die vielen Friedensforscher haben gar nicht bemerkt, in welchen benachbarten Regionen geistig und militärisch massiv für den Krieg aufgerüstet wurde und wird. Gegenwärtig erleben wir ein unangenehmes Erwachen aus einem langen Traum.

Anton Grabner-Haider
Von welchen Seiten werden die liberalen Demokratien massiv angegriffen? Das geschieht zunächst in den Demokratien selbst durch populistische Parteien. Denn diese spiegeln den Zeitgenossen, vor allem den Jugendlichen, bessere Gesellschaften mit mehr an Wohlstand und Sicherheit vor. Dafür möchten die Ideologen der Neuen Linken das kapitalistische System der Wirtschaft überwinden. Die Neue Rechte verspricht ihren Anhängern mehr Sicherheit durch Ausweisung und Vertreibung kulturfremder Personen und Gruppen. In der Bevölkerung, vor allem der Moslems und der Afrikaner. Beide Ideologien streben eine autoritäre und repressive Staatsform an, die liberale Demokratie sei den neuen Problemlagen der Zeit nicht mehr gewachsen. Ihre Vordenker sprechen von einer „illiberalen“ Demokratie (Ungarn), in der die freie Presse und die Gerichte eingeschränkt werden.
Nun argumentieren die Vordenker der autoritären Staatsform, dass die liberalen Demokratien mit den gleichen Menschenrechten für alle Staatsbürger den großen Diktaturen in China, in Russland oder in der islamischen Welt gar nicht gewachsen seien. Sie wollen nicht die gleichen Rechte für alle Zeitgenossen, sondern die Herrschaft von selbst ernannten politischen Eliten. Warum aber lohnt es sich aus vernünftigen Gründen, die liberale und egalitäre Demokratie zu verteidigen?
Fehlerkorrektur
Für Sir Karl R. Popper haben liberale Demokratien viel mehr Möglichkeiten der politischen Fehlerkorrektur als Diktaturen. Denn sie können durch die freie Kritik aller Bürger viel schneller Defizite, Mängel und Gefahren erkennen und korrigieren, als dies in autoritären Staaten möglich ist.
Was also gehört zum Erlernen einer wehrhaften Demokratie?
Zunächst muss mit einer realistischen Einschätzung der Bedrohungslage begonnen werden. Diese Einschätzung muss breite Schichten der Bevölkerung erreichen. Zum anderen muss auf allen Ebenen der Gesellschaft das kritische Denken geübt und gelernt werden. Denn nur so kann es möglich sein, in den neuen Medien die vielen gezielten Fake News von empirisch testbaren Wahrheiten zu unterscheiden.
Die Wehrhaftigkeit ist zunächst ein geistiger Prozess, der vor allem von den verschiedenen Bildungseinrichtungen und von den herkömmlichen Medien geleistet werden sollte. Sie besteht aber auch in der Kunst der Argumentation, wenn es darum geht, rechte und linke Ideologen auf ihre Denkfehler hinzuweisen.
Wir erkennen, dass in den liberalen Demokratien die Beliebigkeit der Meinungen und der Überzeugungen viel zu hoch ist. Wir kommen im Zusammenleben um die Regeln der kritischen Vernunft, der empirischen Prüfung und der sozialen Verträglichkeit nicht herum. Das Ringen um die wehrhafte Demokratie ist heute auch ein Ringen um die Moralwerte der europäischen Aufklärung. Viele ältere Philosophen wundern sich, warum die Kraft des kritischen Denkens in unseren Gesellschaften so stark und so rapide abgenommen hat.
Geistig und militärisch
Zur geistigen Wehrhaftigkeit der Demokratie muss sehr schnell die militärische Wehrhaftigkeit kommen. Denn Diktaturen glauben, dass sich liberale Demokratien nicht werden verteidigen können.
Wir erkennen, dass die wehrhafte Demokratie heute die Aufgabe aller sozialen Schichten und aller Generationen ist. Aber wir haben allen Grund, daran zu glauben, dass es uns möglich sein wird, die egalitäre Demokratie in Teilbereichen nachzuschärfen und zu verteidigen.
Anton Grabner-Haider ist Universitätsprofessor und Religionsphilosoph in Graz
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