Die Republik leidet an einer Verwirrung der Begriffe

Auch Herbert Kickl brachte keine Regierung zustande: Woran krankt es in der österreichischen Politik?
Die politischen Parteien suchen die Verantwortung immer bei den anderen. Ein Gastkommentar von Christian Teissl.

Unsere Republik hat noch immer keine neue Regierung, was hingegen herrscht, und das seit Jahren, ist eine Verwirrung der Begriffe.

Die Angehörigen der politischen Klasse gebrauchen, zumindest auf den ersten Blick, dieselben Worte, bedienen sich, im Großen und Ganzen, desselben Vokabulars, können sich aber immer schwerer miteinander verständigen.

Alle Parteien beschwören „die Heimat“, jede aber meint damit offenbar etwas anderes. Alle Parteien berufen sich unentwegt auf „den Willen“ der Wählerinnen und Wähler, auf „den Willen der Bevölkerung“, scheinen dabei aber jede einen anderen Willen im Sinn und eine andere Bevölkerung vor Augen zu haben.

Die Republik leidet an einer Verwirrung der Begriffe

Christian Teissl

Alle Parteien pochen ständig darauf, verantwortlich zu sein, gegenüber dem Land und seiner Zukunft, suchen aber im Falle des Scheiterns oder in einer politischen Krise, wie wir sie gerade erleben, die Verantwortung nie bei sich selbst, sondern stets bei den anderen, vornehmlich beim politischen Gegner. „Verantwortung“: damit meint man heute eine Last, die bereitwillig auf andere abgewälzt wird; das Wort ist zur leeren Floskel verkommen.

Auch die „soziale Gerechtigkeit“ und „das Staatswohl“ heften sich alle Parteien an ihre Fahnen – wer will schon als ungerecht gelten, wer will schon offen und unverblümt gegen das Wohl der Allgemeinheit auftreten? –, doch können sie sich kaum je darauf einigen, was das eigentlich heißt und welche Konsequenzen es hat. Jede Partei beansprucht die Deutungshoheit für sich, die Worte sind darüber zu bloßen Schlagworten geworden.

Die Neigung, sich mit Schlagworten zu behelfen, sich hinter Phrasen zu verschanzen, ist in jeder politischen Richtung zu registrieren, der Umgang der extremen Rechten jedoch mit der Sprache ist von grundlegend anderer Art: Begriffe werden auf den Kopf gestellt, Worte aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, ihrer humanen Bedeutung und ihrer Würde beraubt, mit Ressentiments aufgeladen und zur Verschleierung inhumaner An- und Absichten benutzt. Besonders hässliches Beispiel: die „Remigration“, wie sie auch von etlichen Vertretern der FPÖ immer wieder gefordert wird. Das Wort bedeutet eigentlich die Rückkehr aus dem Exil in die Heimat, die extreme Rechte meint damit aber das Gegenteil: nicht Heimkehr, sondern Massenabschiebung.

Am Aufbau der Zweiten Republik waren Remigrantinnen und Remigranten maßgeblich beteiligt; sie ist in hohem Maß das Werk von Verfolgten, die ihre Verfolgung überlebt, von Vertriebenen, die aus der Vertreibung heimkehren konnten – spät oft und gegen alle Hindernisse. Was würden sie heute sagen, den politischen Zustand dieser unserer verwirrten Republik vor Augen, in der die demokratischen Kräfte größte Mühe haben, sich zu verständigen, während die Antidemokraten schon wieder unverhohlen von Verfolgung und Vertreibung reden?

Christian Teissl ist Autor in Graz und Vorsitzender des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes.

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