Fall Kellermayr: Wieder einmal ein Freispruch nach Cybermobbing

Fall Lisa-Maria Kellermayr: Mahnwache in Linz
Es braucht einen Straftatbestand "Cybermobbing mit Todesfolge". Ein Gastkommentar von Rotraud A. Perner.

Wieder wurde ein Beschuldigter freigesprochen – und eine wesentliche Aufgabe des Strafrechts verfehlt: klarzumachen, was wir – das Volk, von dem laut Bundesverfassung alles Recht ausgeht – verpönen (von lat. poena – Strafe, Buße, Entschädigung, Rache) und was wir nicht dulden wollen, sondern eindeutig als mehr oder weniger grenzüberschreitend klar- und abgestellt haben wollen.

Das Strafrecht hat eine lange Geschichte. Diese in Schulunterricht und Erwachsenenbildung zu vermitteln, ist ein jahrelang verfolgtes Projekt von mir, das leider trotz Finanzierungszusagen seit 2023 dahinschläft. Viele Menschen wissen weder von den rechtlichen Neuerungen seit den 1970ern noch von den Erkenntnissen computergestützter Gehirnforschung, wie die, dass seelische Verletzungen im Gehirn Engramme (Gedächtnisspuren ) als psychische Narben hinterlassen.

Fall Kellermayr: Wieder einmal ein Freispruch nach Cybermobbing

Rotraud A. Perner

Nun gilt im Rechtsstaat der Grundsatz „Beschuldigte dürfen alles ihrer Verteidigung Dienliche vorbringen – wahr muss es nicht sein“. Wahr muss nur das Vorbringen der Zeugnis Ablegenden wie auch Gutachtenden sein. Aber diese haben genau solche unbewussten Vorurteile wie die Laien- oder Berufsrichterschaft – das zeigten sogar die als „Diagnosen“ vermittelten Unterstellungen einer Person – der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr – gegenüber, die sie zu Lebzeiten nie kennengelernt hatten. Wahrheit finden bedeutet aber vor allem, auf alle Behauptungen zu verzichten, die man nicht beweisen kann. Beispielsweise eine angeblich permanent vorhandene Suizidalität. Ich konnte immer wieder beobachten, wie die eher psychisch gesunden Menschen leiden, wenn sie unter Hochstress gesetzt werden – während diejenigen, die sich gesund wähnen, wenn man alles „aushält“, eher diejenigen sind, denen – meist schon von klein auf – Mitgefühl, Beistand oder Solidarität ausgetrieben wurde. Ich nenne es das militärische Erziehungsmodell in seiner Extremform – wodurch man für den Kriegsfall vorbereitet sein muss, das aber im zivilen – oder zivilisierten! – Leben keine Berechtigung hat.

Wenn man regressionstherapeutisch arbeitet, finden sich in kürzester Zeit die „Urszenen“, auf die z. B. mit seelischer Verhärtung oder Wiederholungszwängen reagiert wurde. Dann erklären sich Hasspostings und andere Sadismen, sie können meist auch effizient und nachhaltig beseitigt werden.

Ich bin keine Befürworterin strenger Strafen – sehr wohl aber von „Strafheilen“ (ein Begriff, den der Psychiater und Psychoanalytiker Hannes Ranefeld oft gebraucht hat). Darüber wünsche ich mir eine breit angelegte Diskussion – und auch über einen möglichen Straftatbestand „Cybermobbing mit Todesfolge“, über mögliche richterliche Auflagen und ebenso Fortbildungspflichten für die Richterschaft in interdisziplinärer Sexuologie wie auch Hochstressbelastungen.

Rotraud A. Perner ist Juristin und Psychoanalytikerin und war als Universitätsprofessorin für Prävention und Gerichtssachverständige für Psychotherapie tätig.

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