Das Vergangene ist nicht vergangen

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Österreich war nach dem Krieg weiterhin ein Obrigkeitsstaat und eine Gesellschaft mit faschistischen Elementen. Ein Gastkommentar von Robert Klement.

Keiner hat bereut“, sagte Hannah Arendt. Die Väter haben sich in der Wirtschaftswunder-Gesellschaft ein Schutzschild in den Köpfen gezimmert und ihren Anteil an der Katastrophe verdrängt. Ehemalige SS-Angehörige waren entweder zwangsweise übergeführt worden (wie Günter Grass), hatten nie etwas Unrechtes getan (wie Friedrich Peter) oder waren als Etappenhengste weit entfernt von den Massakern. Oft konnte man den Eindruck gewinnen, die Gräueltaten im Osten und in den Konzentrationslagern seien das Werk Außerirdischer gewesen.

Mein Vater war in Russland, er schleppte sein Kriegstrauma ein Leben lang mit sich herum. Oft wurde er von jäh auftauchenden Erinnerungen gequält: Weihnachten in Woronesch bei minus 40 Grad, Bestattung toter Kameraden. Kinder entwickeln ein Gefühl dafür, worüber Eltern nicht sprechen wollen. Ich rechne es ihm hoch an, dass er nie mit Heldentaten geprahlt hat.

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Robert Klement

Der Mythos von der sauberen Wehrmacht hat sich bis heute gehalten. Es ist schon oft gesagt worden: Es gibt keine Kollektivschuld, sehr wohl aber individuelle Schuld. Doch ich kenne niemanden, der auch nur angedeutet hätte: „Meine Einheit hat Schreckliches zu verantworten.“ Diese verlogene Generation ist uns Nachgeborenen mit Arroganz begegnet: „Sie waren damals nicht dabei, Sie können nicht wissen, wie es wirklich gewesen ist.“

Mein Geschichtslehrer sprach über die alliierten Kriegsverbrechen von Dresden – dass es KZ gegeben hat, blieb unerwähnt. Nach der Matura gab mir mein Klassenvorstand, ein früherer Wehrmachtsoffizier, den gut gemeinten Rat, ich solle den Mund halten.

1968 empfand ich als Aufstand gegen den Mief der Nachkriegsgesellschaft. Als ich 1974 mit meiner Schulklasse das ehemalige KZ Mauthausen besuchen wollte, wurde ich von Vorgesetzten gefragt, ob das denn sinnvoll sei, die Kinder hätten ja mit der damaligen Zeit überhaupt nichts zu tun.

Mit der Waldheim-Debatte trat eine gewisse Entgiftung ein. Jetzt gestand die Wehrmachtsgeneration ein, dass der Krieg ein Verbrechen war – aber sie selber hatten nichts damit zu tun. Der Kalte Krieg kam ihnen sehr gelegen. Die Welt fürchtete einen Atomkrieg. Kriegsverbrechen waren kein Thema. Natürlich ist mir bewusst, dass mir die „Gnade der späten Geburt“ (Helmut Kohl) beschieden ist.

„Wir lernen denken“, hieß die Hörfunkserie des US-Senders Rot Weiß Rot. Man wollte einer im Faschismus steckengebliebenen Nachkriegsgesellschaft Demokratie beibringen und die Österreicher zu einem „gut unterrichteten Volk“ machen, so Generalmajor Robertson am 6. 6. 1945. Wertvorstellungen wie Toleranz sollten vermittelt werden, neoliberales Wirtschaftsdenken, ein neuer Kunstbegriff sowie Populärkultur wie Jazz. Der Erfolg war in einem Land ohne demokratische Tradition überschaubar. In Österreich und Deutschland befanden sich genug Politiker, Lehrer, Journalisten und Diplomaten, die den demokratischen Neuanfang skeptisch gesehen haben.

„Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen.“ So eröffnete US-Chefankläger Robert Jackson den Nürnberger Prozess. Wie Untote kehren die Schrecken des Krieges immer wieder in unser Leben zurück. Seine Verwüstungen sollten bis in die Generation der Enkel reichen.

„Das Vergangene ist nicht tot“, meinte William Faulkner. „Es ist nicht einmal vergangen.“

Zum Autor: Robert Klement ist Schriftsteller und lebt in St. Pölten.

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