1975: Ein Jahr im Schatten großer Jubiläen

Legendäres TV-Duell zur Nationalratswahl 1975: ÖVP-Chef Josef Taus gegen SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky
Wenn heuer von einem Jubiläumsjahr die Rede ist, dann sind gemeinhin die Jahre 1945, 1955 und 1995 gemeint. Kriegsende, Republiksgründung, Staatsvertrag und EU-Beitritt. Das Jahr 1975 – genau vor 50 Jahren – zählt mit Sicherheit nicht zu den großen historischen Erzählungen. Zu Unrecht – haben uns doch gerade gegenwärtig die Entwicklungen des Jahres 1975 viel zu sagen und verdienen einen genauen Blick darauf.
Einige Schlaglichter bloß, doch durchaus mit einem Bezug zum Heute:
Die große Wehrdienstnovelle erfolgte bereits 1971, somit am Beginn des sozialdemokratischen Jahrzehnts, doch die Konsequenzen der populären SPÖ-Forderung „sechs Monate sind genug“ kamen 1975 voll zum Tragen. 1975 war auch in den Regierungsreihen nicht mehr zu leugnen, dass es keinen Reservekader mehr gab. Nicht zuletzt, weil im verkürzten sechsmonatigen Grundwehrdienst keine Kaderausbildung mehr realisierbar war. Ein Grundpfeiler der militärischen Landesverteidigung war politischer Gefälligkeit geopfert worden. Das Bundesheer drohte handlungsunfähig zu werden. Parlamentarische Initiativen begannen im Frühjahr 1975 diesen Irrweg zu beenden und selbst der SPÖ-Verteidigungsminister Lütgendorf erkannte schließlich dieses gefährliche wehrpolitische Defizit, sodass verpflichtende Kaderübungen wieder gesetzlich beschlossen wurden. Der politische Wille für einen praktischen Einsatz der Miliz, ohne der das Bundesheer weder damals noch heute funktionieren kann, war praktisch in der Mitte der 1970er-Jahre nicht vorhanden. Ein Populismus in sicherheitspolitischen Bereichen führt zwangsläufig zu Unsicherheit.

Johannes Schönner
Eine vergleichbare Diskussion um die Verlängerung der Wehrpflicht erleben wir gerade gegenwärtig. Als größere Oppositionspartei fand die ÖVP in der Mitte des Dezenniums keine Strategie gegen die eigene Schwäche und Inhaltsleere. ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Schleinzer verunglückte Mitte des Jahres 1975 tragisch und sein Nachfolger als ÖVP-Obmann Josef Taus konnte die Suche nach Stabilität nicht erfolgreich abschließen. Die in der Bevölkerung wahrgenommene „Übermacht Kreiskys“ offenbarte sich auch in der Nationalratswahl im Herbst 1975, die eine abermalige SPÖ-Absolute erbrachte.
1975 wurde der internationale Terror erstmals nach Österreich getragen, und die „Insel der Seligen“ erlebte plötzlich blutige Anschläge. Im Herbst wurde der türkische Botschafter in Wien von Attentätern ermordet und Österreich zum Schauplatz des militanten Nahost-Konflikts. Ein sechsköpfiges Terror-Kommando stürmte im Dezember das OPEC-Gebäude in Wien und tötete drei Personen. Es gab aber am Rande sogar eine „österreichische Note“, indem SPÖ-Innenminister Rösch den Terroristen Carlos am Flughafen in Schwechat mit Handschlag „verabschiedete“. Der internationale Terror wird ab 1975 Österreich nicht mehr verlassen.
Kreisky und Wiesenthal
Doch der innenpolitisch und atmosphärisch bedeutsamste Vorfall ereignete sich kurze Zeit nach der Nationalratswahl 1975, und dieser Disput ging als „Kreisky-Wiesenthal-Affäre“ in die Geschichtsbücher ein. Kreisky machte die FPÖ unter Friedrich Peter innenpolitisch erst salonfähig. Dafür nahm er auch die NS-Vergangenheit von Peter in Kauf. Als Simon Wiesenthal die Mitgliedschaft Peters in einer Waffen-SS-Einheit thematisierte, eskalierte der Disput, der aufgrund antisemitischer Ausfälle Kreiskys auch zu gerichtlichen Konsequenzen führte. Erst der intellektuelle Populismus von Kreisky bewirkte eine gesellschaftliche Aufwertung nationaler Gesellschaftsschichten, die fortan in der politischen Arena an Einfluss gewinnen werden. Die ÖVP konnte aus allen diesen Verwerfungen kein Kapital schlagen, und die SPÖ tut sich bis heute schwer Kritik an ihrem „Übervater Kreisky“ zuzulassen. Im Gegenteil: Die SPÖ konnte sich durch diese Polarisierung der Unterstützung der nationalen Kreise für die kommenden Jahre sicher sein. Wer ein Nazi war, dies bestimmte der Bundeskanzler selbst. Diese Affäre war und blieb in den Regierungen von Bruno Kreisky kein „Einzelfall“.
Somit hat die Erinnerung an 1975 durchaus seine Berechtigung und gewährleistet Einblicke in Weichenstellungen, die Österreich bis heute prägen und beschäftigen.
Johannes Schönner ist Geschäftsführer des ÖVP-nahen Karl von Vogelsang-Instituts
Kommentare