Anstoß: Löw, der Sündenbock
Juni 2017, Kasan: Nachdem ein deutsches B-Team den Confed-Cup gewonnen hatte, stellte sich die Frage: Wer soll Deutschland bloß schlagen? Ein Jahr später erhielt man – ebenfalls in Kasan – die nicht für möglich gehaltene Antwort: Südkorea.
Am Tag danach herrschte im Land des Ex-Weltmeisters eine Mischung aus Entsetzen, Trauer und Wut. Während einige mit zahllosen Statistiken (kein Team gab mehr Schüsse ab als das deutsche) und mit Psychogrammen der gefallenen Helden das Unfassbare greifbar machen wollen, sucht die Mehrheit unter Mithilfe der scharfzüngigen Legenden nach Schuldigen (Özil, der DFB, Löw).
Der Teamchef scheint sämtlichen Kredit verspielt zu haben. Was lange gefeiert wurde (Linientreue, Zusammenhalt, Spielidee), wird nun verteufelt. Das wird Löws Arbeit nicht gerecht. Bei sechs großen Turnieren hat er fünf Mal mindestens das Halbfinale erreicht und dabei nie auf das Essenzielle vergessen: seine Mannschaft Fußball spielen zu lassen.
Ob es eine letztgültige Erklärung geben kann für das uninspirierte WM-Auftreten, ist unwahrscheinlich. Kleinigkeiten mögen Fußballspiele entscheiden, das große Ganze lässt sich damit nicht erklären. Und wer in Deutschland Kasan 2018 bereits mit Córdoba 1978 gleichsetzt, der sollte auf Ernst Baumeister hören. Der hat das Getue um den 3:2-Sieg nie recht verstanden: „Wir haben bloß Deutschland geschlagen, die damals nicht einmal so gut waren.“
Kommentare