Ein Warnsignal für die EU

Ein Warnsignal für die EU
Der Korruptionsskandal rund um eine sozialdemokratische Abgeordnete stellt das Selbstbild des EU-Parlaments in Frage.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Das Europaparlament steht gemeinhin für die „gute“ EU. Der Rat gilt europapolitisch korrekt ohnedies als Ansammlung nationaler Interessen, und die EU-Kommission ist jedenfalls nicht demokratisch legitimiert (gilt jedoch auch für nationale Regierungen). Das Parlament indes ist supranational und seine Zusammensetzung das Ergebnis (freilich nach wie vor länderweise abgehaltener) Wahlen. Insbesondere jene, die sich von EU-Skeptikern/-gegnern im Lauf der letzten gut zwanzig Jahre zu „glühenden Europäern“ gewandelt haben, sind daher stets bestrebt, Befugnisse und Bedeutung des Parlaments innerhalb des Institutionengefüges aufzuwerten.

Und jetzt das: Ein Korruptionsskandal erschüttert das EU-Parlament, im Mittelpunkt eine der 14 (!) Vizepräsidenten, die griechische Sozialdemokratin Eva Kaili, die im Verdacht steht, vom Fußball-WM-austragenden Emirat Katar bestochen worden zu sein. Ebenfalls im Fokus: der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes und ein ehemaliger, ebenfalls sozialdemokratischer, italienischer EU-Abgeordneter. Ohne eine ganze Fraktion in Geiselhaft nehmen zu wollen: Das ist insofern bemerkenswert, als es doch gerade die Sozialdemokraten bzw. generell die Linksparteien sind, die sich selbst zu besseren Europäern stilisieren, welche Europa gerne als „Leuchtturm“ in Sachen Menschenrechte, globaler Gerechtigkeit, Ökologie etc. imaginieren. Die Vorstellung der EU als eine Art moralischer Instanz, welche einzelne aufmüpfige Mitgliedsländer maßregelt und „nationale Kleingeisterei“ sanktioniert – sie ist vor allem in diesem Teil des politischen Spektrums beheimatet (wenngleich auch Teile der Christdemokraten von ihr durchdrungen sind).

Jedenfalls sind die nun vorliegenden Verdachtsmomente Wasser auf die Mühlen aller tatsächlichen EU-Gegner. Und somit äußerst unerfreulich für all jene, welche noch immer – ungeachtet aller problematischen Entwicklungen – die Idee einer supranationalen Zusammenarbeit etwa in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit sowie des Binnenmarkts für bestechend halten.

Die Sprengkraft der Causa Kaili ist angesichts der tiefen Legitimationskrise, in welcher die Europäische Union seit geraumer Zeit steckt, nicht zu unterschätzen. Diese wird sich weder mit einem Übergehen zur Tagesordnung noch mit pathetisch vorgetragenen Appellen zu „mehr Europa“ überwinden lassen. Im Gegenteil: Über den Anlassfall hinaus gilt für die EU vielleicht in besonderer Weise, was auch für nationale Politik geboten wäre: mehr Pragmatismus, weniger ideologische Überhöhung, mehr Selbstbeschränkung im Sinne des gerade im europäischen Kontext stets beschworenen Subsidiaritätsprinzips. Und natürlich gilt da wie dort: Politik muss über jeden Korruptionsverdacht erhaben sein.

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