Ein Adrenalinschub für die Kultur

Warum der Salzburger „Jedermann reloaded“ und die Ambros-Aussagen gerade so wichtig sind.
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Als Philipp Hochmair unmittelbar nach seinem Erstauftritt als Jedermann bei den Salzburger Festspielen von der „ZiB 24“-Präsentatorin zu seinem emotionalen Status nach einer derartigen Kraftanstrengung befragt wurde, machte er das einzig Richtige: Er wünschte Tobias Moretti eine rasche Genesung von seiner Lungenentzündung. Dem wollen wir uns hier anschließen. Wer Moretti auch nur ein wenig kennt, weiß, dass eine Krankheit noch lange kein Grund ist, nicht mit dem Motorrad durch Afrika zu fahren oder auf dem Salzburger Domplatz zu spielen. Wenn er im Bett bleibt, dann nur, weil er dazu gezwungen wurde.

Die Kritiker waren sich nach Hochmairs eingesprungenem Doppel-Axel jedenfalls einig: Das war nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine sportliche Großleistung, sich innerhalb von 30 Stunden die wichtigste Partie der Festspiele zu eigen zu machen. Aber wen wundert’s bei Hochmair, diesem Adrenalin-Schauspieler.

Was besonders schön ist an dieser Einspringung (der solcherart ersten seit 1932): Das Thema Kultur ist wieder in den Schlagzeilen. Für ein paar Tage hat man den Eindruck, man lebe in einem Kulturland ersten Ranges. Aber keine Sorge: Innerhalb kürzester Zeit wird es ohnehin wieder um Themen wie AUVA, Mindestsicherung oder Flüchtlingsrouten gehen.

Keine Chance für „message control“

Das soll freilich nicht bedeuten, dass die zurzeit präsenten Themen nicht wichtig wären. Aber diesen kann man einen Spin mitgeben, da kann man die Botschaft kontrollieren, für eigene Zwecke nützen. Im Kulturbereich funktioniert es nicht mit „message control“. Das sieht man auch beim Streit zwischen Wolfgang Ambros und der FPÖ.

Der Sänger, eine der größten Legenden, die Österreich hat (bis vor Kurzem vermutlich auch in FPÖ-Kreisen und auf Zeltfesten extrem beliebt), hat sich erdreistet, in einem Interview mit der Süddeutschen mangelhaftes Vergangenheitsbewusstsein zu kritisieren. Na mehr brauchst nicht! Die Retourkutsche war heftig. Was wiederum zu einer Initiative auf Twitter führte, den Ambros-Klassiker „Schifoan“ zurück in die Charts zu bringen. So funktioniert Politik heute: Menschen schließen sich über soziale Medien zusammen und können gemeinsam durchaus etwas erreichen. Nur manche Parteisprecher glauben nach wie vor, dass ohne sie nichts geht.

Außerdem ist der „Fall Ambros“ geradezu bahnbrechend: Zuletzt war es auf politischer Ebene still um Künstler geworden, kaum einer hatte sich zu Wort gemeldet, nun ist endlich einer aus der Deckung gegangen. Seine Meinung kann man gutheißen oder ablehnen, darum geht es gar nicht. Wichtig ist, dass Künstler in diesem Land als Seismografen wahrgenommen werden, auf die wir stolz sein können. Dass Kulturschaffen, wie etwa bei den bisher sehr erfolgreichen Salzburger Festspielen, als besonders österreichische Form der Wertschöpfung gesehen wird. Und dass wir merken, dass eine gute „Jedermann“-Aufführung im Prinzip um vieles politischer ist als jeder Parteitag. Bekenntnisse zur Kunst sind erst dann glaubhaft, wenn es unbequem wird.gert.korentschnig

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