Debatte über die Matura: Die ungesunde Angst vor Mathematik

Debatte über die Matura: Die ungesunde Angst vor Mathematik
Unter dem Deckmantel der Modernisierung rütteln wir an den Grundfesten einer soliden Allgemeinbildung. Das ist gefährlich.
Christoph Schwarz

Christoph Schwarz

Die Debatte ist fixer Bestandteil des bildungspolitischen Kanons dieses Landes – und alljährlich im Mai trifft sie uns mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit: Wenn die 46.000 Maturantinnen und Maturanten ihrem Angstgegner, der schriftlichen Mathematik-Reifeprüfung, gegenübertreten, ruft das zugleich Millionen heimischer Bildungsexperten auf den Plan.

Asymptoten bestimmen, Wahrscheinlichkeiten berechnen, quadratische Gleichungen lösen: Ist das denn wirklich (praxis-)relevant – oder kann das weg?

Mit der Antwort sind Kritiker der Matura meist schnell bei der Hand: Was man selbst nicht (mehr) beherrscht, müsse doch wohl auch kein junger Mensch erlernen, urteilen sie aus der Distanz. Vor allem, was uns herausfordert, muss weichen – so funktioniert Nivellierung nach unten.

Eine überraschend undifferenzierte Sichtweise für Menschen, deren Wohlstand auf den Errungenschaften einer Wissensgesellschaft aufbaut.

Entstauben!

Freilich: Die Lehrpläne der heimischen Schulen müssen entstaubt werden. Financial Literacy etwa – also die Fähigkeit, im realen Leben mit Geld umzugehen – ist für viele Junge auch im übertragenen Sinne ein Fremdwort. (Gleiches gilt für die ältere Generation – aber das ist ein anderes Thema ...) Die Liste jener Kompetenzen, die in der Schule nicht ausreichend vermittelt werden, lässt sich beliebig erweitern – um digitale Grundkenntnisse, Medienkompetenz, Klimawissen, Ernährung, Gesundheit.

Die Überarbeitung der Lehrinhalte, die das Bildungsministerium für das Vorjahr angekündigt hatte, wurde von der Corona-Welle hinweggespült und auf das Schuljahr 2023/’24 verschoben. Wir haben ja Zeit.

Was an der Modernisierungsdebatte jedoch verstört, ist die Geringschätzung für klassische Bildung, die mehr als nur unterschwellig mitschwingt. Im Windschatten der Frage, welche neuen Inhalte Platz finden müssen – und wie zeitgemäße Didaktik aussehen kann –, wird so ungeniert an den Grundfesten jener soliden Allgemeinbildung gerüttelt, für die gerade das Gymnasium immer noch zuständig ist: Es soll den Jugendlichen ein vielfältiges Rüstzeug für ihre Studien-, Job- und Lebensentscheidungen mitgeben. Es soll vermitteln, dass auch das Lernen gelernt sein will.

Ein Wert an sich

Bildung formt Persönlichkeiten – und ist dabei immer auch ein Wert an sich. Sie darf sich nie nur dem Diktat der Praxisrelevanz unterwerfen.

Übrigens: Die Mathematikfeindlichkeit ist ein österreichisches Phänomen. Wer hier mit Unwissen kokettiert, erntet zustimmendes Schmunzeln. Eine ungesunde Haltung, die wir da an nächste Generationen weitergeben – und die anderen Ländern fremd ist.

Dass wir uns schwertun, junge Menschen an den Unis für mathematisch-technische und naturwissenschaftliche Studien zu begeistern, muss niemanden verwundern. Im Kampf der klügsten Köpfe um die Technologien der Zukunft verschafft uns das keine Vorteile.

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