Die ÖVP auf der Suche nach sich selbst

Auch ein Jahr nach dem Anfang vom Ende der Ära Kurz sorgt der Ex-Kanzler bei Feind wie Freund für politische Phantomschmerzen. Die einen skandieren nach wie vor „Kurz muss weg“ – wohl als eine Art Beschwörung, dass er oder seinesgleichen nie wieder die politische Bühne betreten möge; sprich: die ÖVP mit klarer Kante den Führungsanspruch stelle. Die anderen scheinen sich teils verwundert die Augen zu reiben, ob denn das alles wahr gewesen und mit rechten Dingen zugegangen sein könne. Bezeichnend für die Unsicherheit im Umgang mit der eigenen Erfolgsgeschichte unter Kurz eine Aussage des VP-Abgeordneten Andreas Hanger im ORF-Report: Darauf angesprochen, fiel ihm – verlegen lächelnd – nichts anderes dazu ein, als den alten Kurz-Sager vom „sich nicht gegenseitig anpatzen“ nachzubeten. Ganz sicher, das war das Entscheidende …
Vieles hat sich in diesem Jahr verändert – für die ÖVP nicht eben zum Besseren. Zu gewinnen gibt es derzeit nichts für sie – was wohl, neben den ebenfalls nicht berauschenden Umfragewerten für die Grünen, den stärksten Kitt dieser so heterogenen Regierung bildet. Der Volkspartei droht der Rückfall in die ihr vom politischen Gegner gerne zugewiesene Rolle des ewigen Zweiten und Mehrheitsbeschaffers – eine Rolle, mit der sie sich freilich über weite Strecken ihrer Geschichte ganz gut arrangiert zu haben schien.
Zuletzt gab es indes Anzeichen, dass manchen in der ÖVP die für sie unerquickliche Lage bewusst ist. Dazu zählt beispielsweise, dass der Kanzler in Sachen Migration Entschlossenheit zeigt. Das jüngste Treffen von Karl Nehammer mit Ungarns Premier Viktor Orbán und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić ist hier ein klares Signal (auch wenn es von ORF & Co. mit Häme übergossen wurde).
Ebenso deuten die ersten Wortmeldungen des – möglicherweise bisher unterschätzten – neuen Generalsekretärs Christian Stocker darauf hin, dass man die Notwendigkeit einer Profilschärfung auch gegenüber dem Koalitionspartner (Lobautunnel, Justiz) erkannt hat. Nichts anderes hat übrigens Laura Sachslehner bei ihrem Abgang thematisiert.
Wenn es nun Stocker auch noch gelänge, die im Gefolge der internen Turbulenzen wieder stärker auseinanderstrebenden Kräfte innerhalb der Partei (ein nachgerade typisches ÖVP-Problem) einigermaßen zu bündeln, wäre schon einiges für sie gewonnen.
Freilich – solange die ÖVP nicht weiß oder wissen will, warum sie erfolgreich war (siehe oben, Hanger), hilft alles nichts. Oder anders gesagt: „Man muss sich bewusst sein, wie man Wahlen gewinnt.“ Das Zitat stammt allerdings von Hans Peter Doskozil.

Kommentare