Der Staat als Tugendwächter

Betreten auf eigene Gefahr
Mit Gängelung und Verboten bewegen wir uns in Richtung autoritäre Gesellschaft. Der mündige Bürger gehört der Vergangenheit an
Martina Salomon

Martina Salomon

Bis 2035 könnte die Hälfte der Menschheit übergewichtig oder sogar fettleibig sein, stellt eine neue Studie fest. Experten prophezeien auch für Österreich seit Jahren eine Fettleibigkeitsepidemie und forderten bisher vergeblich einen Aktionsplan der Politik, der den Mutter-Kind-Pass, Kindergärten und Schulen mit einbezieht. Auch das Bundesheer wäre ein Ort, um jungen Menschen die Bedeutung von Bewegung und vernünftiger Ernährung (nebst Nichtrauchen und Alkoholreduktion) zu erklären. Positiv motivieren sollte das Motto sein – siehe ROMY-Preisträger (Fit mit) Philipp, der via ORF Zehntausende zum Turnen bringt.

Aber derzeit scheint man selbst in der freien westlichen Welt einen Hang zur Gängelung zu entwickeln. In Deutschland will der grüne Ernährungsminister ein Werbeverbot für Süßwaren einführen. In der EU wurde bereits Ähnliches diskutiert. Nun muss man tatsächlich fragen, warum ausgerechnet Produkte, die explizit für Kinder erzeugt werden, so picksüß sind. Aber es scheint so, als ginge der Glauben an den mündigen Bürger verloren. Ständig glaubt irgendein Amt oder eine Institution, die Menschen vor sich selbst schützen zu müssen, ihnen Verhaltenshinweise, Warnschilder und sogar Verbote im Sinne der guten Sache aufzwingen zu müssen. Damit nähert man sich auf leisen Sohlen diktatorischen Systemen an. In China werden mittels eines Orwell’schen Sozialkreditsystems Punkte vergeben. Dank Gesichtserkennung wird der Bürger lückenlos überwacht – und dabei erwischt, den Kot seines Hundes nicht wegzuputzen oder Streit mit Nachbarn anzuzetteln. Minuspunkt! Eine Blutspende führt zu einem Pluspunkt. Wer zu oft gegen die Gemeinschaftsregeln verstößt, landet auf einer schwarzen Liste und kann zum Beispiel keinen Flug mehr buchen: Schöne neue Welt!

Ansätze dafür gibt es auch bei uns, derzeit allerdings nur mit positiven Anreizen: Die Sozialversicherung der Selbstständigen belohnt Vorsorgeuntersuchungen finanziell. Die Stadt Wien arbeitet an einem digitalen Kultur-Token, der Bewegungsdaten ausliest und den Benutzer mit Gratistickets für umweltfreundliche Fortbewegung belohnen soll. So weit, so gut (?). Aber werden wir irgendwann einmal für klimaschädliches Verhalten, politisch inkorrektes Sprechen, krankmachenden Lebensstil ernsthaft bestraft?

Der Hinweis mag extrem sein, doch schon im NS-Regime gab es einen „Reichsvollkornbrotausschuss“, die Nationalsozialisten propagierten eine gesunde Lebensweise. Mit den heutigen digitalen Überwachungsmöglichkeiten sind Maßnahmen autoritärer Regierungen noch leichter umzusetzen. In China ist man mit diesem System übrigens laut Umfragen zufrieden.

Könnte aber vielleicht daran liegen, dass, wer anderes sagt, einen staatlichen Malus befürchten muss.

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

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