Bürgertum im ORF

Die neue Hörfunkdirektorin des ORF will die beiden angestaubten Aushängeschilder des öffentlich-rechtlichen Hörfunks, FM4 und Ö1, reformieren. Das Ansinnen von Ingrid Thurnher ist hehr, vor der allfälligen Umsetzung muss man aber heute schon Angst haben. Und es wirft die Frage auf, wie bürgerlich ein bürgerlich geführter ORF ist.
Da ist die Rede davon, dass Ö1 zu „urban“ sei und man weniger „Köchelverzeichnis“ (Mozart-Werkverzeichnis aus dem 19. Jahrhundert, Anm.) wolle. Eine interessante Positionsbestimmung für einen Sender, der die österreichische Klassikszene (die immer noch Weltruf genießt), kompetent und leidenschaftlich begleitet. Dass Konzert und Oper vor allem in urbanen Gegenden große Bedeutung (und auch entsprechenden Raum und Publikum) haben ist ein schräger Vorwurf. Man will ja kaum in diese verkorkste Diskussion einsteigen, aber die Gegenfrage drängt sich auf: Ist die Provinz in den Bundesländer-Radios und auf dem größten Sender des Landes, ORF2, gar grob unterrepräsentiert?
Es ist erstaunlich, wie leichtfertig der moderne ORF die Reste des Bildungsbürgertums marginalisiert und als urbane Problemzone einkastlt. Sich für Mozart zu interessieren, ist im Land der rot-weiß-karierten Tischtüchel offenbar ein mittelschwerer Charakterfehler.
Wie steht es um die Leidenschaft des Diskurses als bürgerliche Tugend? Im ORF ist diese einem Unbehagen gegenüber dem progressiven FM4 gewichen. Offenbar ist es schwer zu verkraften, diesen lästigen Positionen mit Gebührengeld eine Kleinbühne zu bieten.
Nun: Ohne Gegenposition ließe sich die eigene Überzeugung in einer liberalen, denkfreudigen Gesellschaftsordnung kaum aufrecht erhalten. Und wer glaubt, dass man nur die eigene Weltanschauung auf allen Kanälen posaunen müsse, und die Welt werde sich schon zum Guten wenden, sollte vielleicht vieles tun, aber bitte keine Massenmedien verwalten.
Unbestritten ist FM4 in einer demografischen Krise: Die Hörer sind mitgealtert. Fest steht aber auch, dass ohne diesen Sender vielbejubelte Bands wie Wanda oder Bilderbuch schlicht nicht möglich gewesen wären. FM4 wurde als Antwort auf ein immer glatteres und kommerzielles Ö3 gegründet, das sich etwas darauf einbildete, eben keine österreichische Musik mehr zu spielen. Dass allen Ernstes mit dem Gedanken gespielt wird, daraus ein weiteres Formatradio zu bauen, („Ö3 für Junge“), muss als Verirrung gelten.
Der ORF denkt seine riesige Radioflotte offenkundig nur mehr von der kommerziellen Seite. Das ist ok, aber dann sollte man daran denken, die Lizenzen gut zu verkaufen. Denn Markt können Unternehmer besser.
Aber diese Einsicht wäre dann wohl doch zu bürgerlich.

Philipp Wilhelmer.
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