Brandstätters Blick: Haben wir im Westen verloren? Fast!

Die EU streitet um einen Affenfelsen, China plant eine weltweite Logistikkette. Wohlstand verlagert sich.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Ein Diplomat aus Singapur macht dem Westen ein Geschenk, wie er schreibt – ein Buch, das er „Provokation“ nennt. In der Tat, das Buch mit dem Titel „Has the West Lost It?“ ist eine Provokation. Und sie setzt sich fort, indem Kishore Mahbubani gleich zu Beginn Niccolò Macchiavelli zitiert, also einen Denker aus dem Westen, der mit seinem Werk „Der Fürst“ zum Sinnbild für einen skrupellosen Herrscher wurde. Abgesehen davon, dass Macchiavellis Werk viel differenzierter ist, geht es Mahbubani um einen Punkt: Wenn sich die äußeren Bedingungen radikal ändern, dann muss jede Regierung sich auf diese neuen Zeiten einstellen. Und genau das würde der Westen nicht schaffen, obwohl wir längst verstanden haben müssten, dass die ökonomische Vorherrschaft der USA und Europas vorbei ist, während noch offen ist, ob unsere von der Aufklärung geprägten politschen Werte überleben können.

Wochenkommentar: Helmut Brandstätter über Spö, CDU Nachfolge, Wirtschaftswachstum und Bildung im Osten

Das Comeback Asiens

Eine einfache Grafik erläutert, dass die wirtschaftliche Dominanz des Westens nur kurz gedauert hat. Bis zur Industrialisierung vor rund 200 Jahren waren China und Indien die Staaten mit der größten Wirtschaftskraft. China plant, spätestens im Jahr 2050 Nummer 1 zu sein, und niemand kann ernsthaft dagegen argumentieren.

Brandstätters Blick: Haben wir im Westen verloren? Fast!

Kishore Mahbubani ist ein typisches Beispiel für den Aufstieg Asiens. Geboren wurde er 1948 in Singapur, seine Eltern waren ein Jahr zuvor nach der Teilung Indiens geflohen, er war der erste seiner Familie, der durch Bildung den Aufstieg schaffte. Seine Kinder genießen nun jede internationale Ausbildung, darauf ist er stolz. Gebildete Asiaten kennen ihre Traditionen und verstehen westliches Denken.

China, die Internet-Diktatur

Umso verstörender ist es, wenn Muhbabani als Beispiel für „good governance“, also ordentliche Regierungsführung drei asiatische Führer nennt, darunter auch Chinas Staatspräsident Xi Jinping. Dass die kommunistische Partei ab der Führung von Deng Hsiao Ping aus dem armen Land eine innovative Volkswirtschaft gemacht hat, war eine Leistung. Xi hat es endgültig geschafft, aus von der Partei geschulten Apparatschiks ausgebuffte und oft skrupellose Turbo-Kapitalisten zu machen, das ist auch beachtlich. Aber die Entwicklung hin zur Internet-Diktatur, mit einem Punktesystem, das jegliches Verhalten der Menschen über das Handy kontrolliert, bei gleichzeitiger Vernetzung aller Daten, hat mit einer anständigen Regierungsarbeit nichts mehr zu tun. Freilich: Wer seine Bevölkerung permanent überwacht, kann sie mit Brot und Spielen ruhig stellen, jedenfalls, so lange das Wachstum stimmt.

„Der Westen liegt falsch in der Annahme, dass Demokratie Voraussetzung für ökonomischen Erfolg ist“, schreibt Mahbubani. Das ist schon wieder eine Provokation,aber eine, die uns aufwecken soll. Denn die chinesische Führung spielt bei der Eroberung der Erde, etwa durch eine perfekte Logistikkette von Häfen, Straßen und Eisenbahnverbindungen gezielt auch mit europäischen Ländern.

Ist uns die Investition aus Peking wichtiger? Oder doch unser politisches Modell und unsere Freiheit? Das ist der zentrale Punkt: Sind wir zufrieden mit der liberalen Demokratie, mehr noch, sind wir überzeugt davon, dass diese die beste Form des Zusammenlebens von Menschen ist? Oder schielen viele schon auf mächtige Führer à la China, oder tun sie das spätestens bei der nächsten Wirtschaftskrise?

Bedenklich stimmen müssen Umfragen unter jungen Leuten, ob sie mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Bei einer Untersuchung im Jahr 2016 haben 90 Prozent der Indonesier gesagt, dass sie glücklich und optimistisch sind, aber nur 57 Prozent junger Briten. Ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist zehn Mal so hoch, ihre Skepsis vor der Zukunft aber leider auch.

Kommentare