Am Anfang stand die Wut der kleinen Leute

Der Brexit, die Revolte der "Gelbwesten": Ausdruck eines Lebensgefühls, dem sich die Politik stellen muss.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

In London hat die Premierministerin die Katastrophe noch einmal vertagt, in Paris versucht der Präsident, sie mit politischen Demutsgesten abzuwenden. Längst verloren aber haben beide dabei ihre politische Linie.

Macrons Ziel, dem französischen Staat etwas Liberalismus einzuflößen, scheitert am Unmut jener, bei denen jede Neuerung Angst um ihren ohnehin wackeligen Wohlstand auslöst. Der Brexit wiederum war ja von Anfang an nichts anderes als der Ausdruck solcher Ängste. Eine Politik also, die diese Ängste als harmlose Stimmungsschwankungen einer ohnehin reichen Gesellschaft abtut, ist dazu verdammt, von ihnen letztendlich überrollt zu werden.

Die Bürger sind vielleicht nicht immer in der Lage, Ursachen ihres Unmuts klar zu definieren, aber ihr Gefühl trügt sie nicht. Große Teile eines zuvor sozial abgesicherten Proletariats sind in Großbritannien auf den Status von Taglöhnern der Dienstleistungsgesellschaft abgerutscht. In Frankreich ist den Kleinverdienern vom Wirtschaftswachstum nichts als höhere Preise für Wohnen, Essen und Mobilität geblieben.

Dieses  Spielfeld hat man Populisten überlassen, die das vortäuschen, woran die Politik scheitert: Die Lage der Menschen verändern zu können und auch zu wollen. Stattdessen demonstriert man ständig, wie wenig man  in einer globalisierten Welt noch mitzureden hat: Ob es nun darum geht, US-Internet-Riesen zu fairen Steuerleistungen zu bringen oder Aktienspekulation unter Kontrolle. Das Misstrauen, das die Leute auf die Straße oder zu den Populisten treibt, ist durchaus gerechtfertigt. Statt also ratlos vor brennenden Barrikaden und Wahlniederlagen zu stehen, sollte man die Bürger rechtzeitig ernst nehmen – und nicht zu spät vor ihrer Wut in die Knie gehen.

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