26. Oktober: Feiern wir die Republik

100 Jahre ist sie alt, und wir haben uns so sehr an sie gewöhnt, dass wir nur noch ihre Schattenseiten sehen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Das Gedenken der „ Achterjahre“ hat es gezeigt: Eigentlich gäbe es gute Alternativen zum jetzigen Termin eines Nationalfeiertags. Nur zur Erinnerung: Am 26. Oktober 1955 wurde im Nationalrat das Gesetz über die „immerwährende Neutralität“ beschlossen. Offiziell stand der Beschluss in keiner Beziehung zum Staatsvertrag vom Mai 1955. De facto war unsere Neutralität eine von der Sowjetunion verlangte Bedingung für den ersehnten Staatsvertrag.

Als „Tag der Fahne“ wurde unser Nationalfeiertag am 26. Oktober jahrelang begangen. Schulkinder malten in den Siebzigerjahren die Fahne rot-weiß-rot aus und erfuhren , dass dies der Tag gewesen sei, an dem der letzte fremde Besatzungs-Soldat das Land verlassen hatte – ein Mythos, wie so vieles, aber immerhin ein Grund zur Freude. Als die Regierung Josef Klaus zur Hebung des Nationalgefühls und zur Freude der Bevölkerung einen neuen Feiertag einführte, wurde auch der 15. Mai als würdiger Tag erwogen. Freilich, im Mai gab/gibt es ohnehin schon viele Feiertage, also wurde es der Oktober. Kaum jemand schlug vor, den Tag der Gründung der Republik vor (heuer) hundert Jahren zu feiern. Da hätte sich der 21. Oktober angeboten, als der neue unabhängige Staat „Deutsch-Österreich“ 1918 nach schrecklichen Kriegsjahren von 208 deutschsprachigen ehemaligen Abgeordneten des letzten Reichsrates der Monarchie im Palais Niederösterreich aus der Taufe gehoben wurde. Oder am 12. November, als die Republik von den Parlamentspräsidenten der provisorischen Nationalversammlung ausgerufen wurde. Das war übrigens schon einmal – in der Ersten Republik – Feiertag.

Müssen wir das Ende der Demokratie fürchten?

Das geschrumpfte Österreich ist 100 Jahre später wieder ein Vielvölkerstaat geworden. Im Parlament sitzen selbstverständlich auch Frauen (erst ab 1918 durften sie wählen). Und Gott sei Dank ist die Sehnsucht nach einem starken Führer zuletzt gesunken – eine gute Nachricht, die im Meer der „bad news“ fast untergeht. Der Politikberater Thomas Hofer hat in seiner klugen Rede zur Festsitzung im Palais Niederösterreich am 21. Oktober allerdings gemeint: „Wir müssen zwar nicht das jähe Ende der Demokratie befürchten. Aber wir alle leiden an demokratiepolitischer Wohlstandsverwahrlosung.“

Da hat er wohl recht. Die Menschen, gewöhnt an einen hohen demokratischen Standard und umfassende soziale Sicherheit, sind extrem politik- und parteienverdrossen. Natürlich sind sie erschöpft von den vielen Veränderungen durch Globalisierung, Digitalisierung, Migration. Sie ärgern sich darüber, dass internationale Giganten kaum Steuern zahlen, während das kleine Wirtshaus ausgequetscht wird. Sie machen oft ihre eigenen Regierungen für Missstände verantwortlich, obwohl die nicht einmal in Europa, sondern nur global (und daher kaum) gelöst werden können. Das heißt umgekehrt aber auch, dass Parteien nicht vorgaukeln sollten, globale Probleme im Alleingang lösen zu können.

Wer zurückschaut in der Geschichte muss dankbar sein für den Wohlstand und den langen Frieden. Und sollte auch wachsam sein. In der jungen Republik nach 1918 führte die politische Polarisierung dazu, dass am Ende aufeinander geschossen wurde. Thomas Hofer hat daher auch recht, wenn er davor warnt, „dass die allgemeine politische und mediale Erregungskultur langsam in einen schrillen Dauerton mündet, der uns unempfindlich macht gegenüber dem, was sich an Wesentlichem ereignet.“ Stimmt. Regen wir uns ein wenig ab, ohne unkritisch zu sein. Und feiern wir heute die Republik – auch wenn es im Laufe der langen Geschichte vielleicht ein gewichtigeres Datum zur Erinnerung gegeben hätte.

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